Kindeswohl

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist image.png
Bild: unicef.de

Kindeswohlgefährdung

Diese Thema geht alle an, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten:

Bildergebnis für kindeswohlgefährdung
Bild: https://www.haushaltstipps.net/kindeswohlgefaehrdung/
Bildergebnis für kindeswohlgefährdung
Bild: https://www.google.de/search?q=kindeswohlgef%C3%A4hrdung&tbm=isch&source=iu&ictx=1&fir=iffaq8DzdhzksM%253A%252COFzsPERGgX8QWM%252C_&vet=1&usg=AI4_-kRsI3sxD-5mwZKrk6W_3W0Z7-c1yw&sa=X&ved=2ahUKEwjPvZnQqLLmAhWmwMQBHQGOC70Q9QEwAHoECAcQAw#imgrc=gnuYcMotlplHvM:&vet=1
Bildergebnis für kindeswohlgefährdung
Bild: https://www.google.de/search?q=kindeswohlgef%C3%A4hrdung&tbm=isch&source=iu&ictx=1&fir=iffaq8DzdhzksM%253A%252COFzsPERGgX8QWM%252C_&vet=1&usg=AI4_-kRsI3sxD-5mwZKrk6W_3W0Z7-c1yw&sa=X&ved=2ahUKEwjPvZnQqLLmAhWmwMQBHQGOC70Q9QEwAHoECAcQAw#imgrc=iffaq8DzdhzksM:

Schutzauftrag gegenüber Kindern und Jugendlichen
Information und Selbstverpflichtungserklärung

In Ihrem Kursangebot haben Sie Kontakt zu Kindern und Jugendlichen und Sie sind in diesem Rahmen auch für deren Schutz und Wohlergehen verantwortlich.

Gewalt und Misshandlung kommen in allen sozialen Kontexten vor und leider zählen auch Kinder und Jugendliche zu ihren Opfern.
Sexueller Missbrauch und Gewalt verletzen die Würde und die Integrität des Menschen. Wir sagen ein klares Nein dazu, sehen nicht darüber hinweg und werden Übergriffe nicht tolerieren. Wir übernehmen Verantwortung für die uns anvertrauten Menschen und schaffen sichere Räume in unserer Arbeit. Wir werden alles mögliche tun, einen Zugriff von Tätern und Täterinnen auf Kinder und Jugendliche in den eigenen Reihen auszuschließen.

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefährdung und für ihr Wohl ist auch ein zentraler Bestandteil des Sozialgesetzbuchs (SGB) – 8. Buch Kinder- und Jugendhilfe. Ziel ist es, eine Gefährdung des Wohls von Kindern und Jugendlichen durch grobe Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch zu verhindern.

Diese gesetzliche Fürsorgepflicht gegenüber Kindern und Jugendlichen gilt nicht nur für Eltern, sondern auch für Kursleiter und Kursleiterinnen in Vereinen, Kirchen, Kitas, Schulen, Feuerwehr usw. – überall wo mit Kindern gearbeitet und umgegangen wird.

Sollten Sie – in welchem Zusammenhang auch immer – Kenntnis über gewichtige Anhaltspunkte für eine akute, schwerwiegende Gefährdung eines Kinder oder Jugendlichen erlangen, sind Sie verpflichtet, dieses einer zuständigen Person, z.B. auf Leitungsebene, zu melden. Unter Beachtung der Schweigepflicht und des Datenschutzes kann eine Fachberatungsstelle – z.B. der Kinderschutzbund Gießen, die Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch Wildwasser Gießen e.V. – oder ein internes Krisenteam hinzugezogen werden.

Besteht eine akute Gefahr für das Kind oder den/die Jugendliche, ist eine Meldung beim Jugendamt nach § 8a vorzunehmen. Ist das Jugendamt nicht unmittelbar erreichbar, geht die Information an die Dienststelle der Polizei.

Auszüge aus dem SGB 8 zu Ihrer Kenntnis:
§ 1 Recht auf Erziehung, Elternverantwortung, Jugendhilfe
1. Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung
und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und
gemeischaftsfähigen Persönlichkeit.
2. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der
Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.
Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(Grundgesetz Artikel 6 steht, Abs. 2)
3. Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts nach Abs. 1 insbes.
– junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung
fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder
abzubauen,
– Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten
und unterstützen,
– Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen,
– dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen
und ihre Familien sowie eine Kinder- und familienfreundliche
Umwelt zu erhalten oder zu schaffen.

§ 8a Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
1. Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die
Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so
hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer
Fachkräfte einzuschätzen. Soweit der wirksame Schutz dieses Kindes
oder dieses Jugendlichen in Frage gestellt wird, hat das Jugendamt
die Erziehungs-berechtigten sowie das Kind oder den Jugendlichen
in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen und, sofern diese
nach fachlicher Einschätzung erforderlich ist, sich dabei einen
unmittelbaren Eindruck von dem Kind und von seiner persönlichen
Umgebung zu verschaffen. Hält das Jugendamt zur Abwendung der
Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig,
so hat es diesen den Erziehungsberechtigten anzubieten.
2. …
3. …
4. In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und
Diensten, die Leistungen nach diesem Buch erbringen, ist
sicherzustellen, dass
– deren Fachkräfte bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte
für die Gefährdung eines von ihnen betreuten Kindes oder
Jugendlichen eine Gefärdungseinschätzung vornehmen,
– bei der Gefährdungseinschätzung eine insoweit erfahrene Fachkraft
beratend hinzugezogen wird sowie
– die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder Jugendliche in die
Gefährdungseinschätzung einbezogen werden, soweit hierdurch der
wirksame Schutz des Kindes oder Jugendlichen nicht in Frage
gestellt wird.

In der ev. Kirche Hessen und Nassau wird gemäß der Kinderschutzverordnung von allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis nach § 30a BZRG (Bundeszentralregistergesetz) verlangt. Darüber hinaus haben alle eine Selbstverpflichtungserklärung abzugeben und regelmäßige (alle 3 Jahre) an einer Schulung teilzunehmen, die der Vermeidung von Kindeswohlgefährdung und einer Sensibilisierung für dieses Thema dient.

Selbstverpflichtung
– Ich will die mir anvertrauten Jungen und Mädchen, Kinder und
Jugendlichen vor Schaden und Gefahren schützen.
– Ich verpflichte mich, alles mir Mögliche zu tun, dass in meinen /
unseren Angeboten keine Grenzverletzungen, keine körperliche oder
seelische Gewalt, kein sexueller Missbrauch und keine sexualisierte
Gewalt möglich werden.
– Ich nehme die individuellen Grenzempfindungen der Mädchen und
Jungen, der Kinder und Jugendlichen wahr und ernst. Ich respektiere
die persönlichen Grenzen der Scham der Teilnehmer/innen sowie
der Mitarbeiter/innen.
– Ich beziehe gegen sexistisches, diskriminierendes, rassistisches und
gewalttätiges verbales und nonverbales Verhalten aktiv Stellung.
– Ich werte Menschen nicht ab und achte darauf, dass andere in den
von mir geleiteten Kursen sich so verhalten.
– Ich gestalte meine Aufgabe als Kursleiter/in im Umgang mit Nähe
und Distanz verantwortungsvoll. Ich nutze meine Rolle nicht für
sexuelle Kontakte zu mir anvertrauten jungen Menschen aus.
– Ich nehme Grenzüberschreitungen durch andere Mitarbeiter/innen
und Teilnehmende bewusst wahr und toleriere sie nicht.
– Ich weiß, dass Betroffene kompetente Hilfe benötigen, die sie bei den
Kollegen und Kolleginnen und bei der beauftragten Vertrauensperson
unserer Einrichtung bekommen können.
– Mit meiner Unterschrift bestätige ich, dass ich die Information zur
gesetzlichen Fürsorgepflicht gegenüber Kindern und Jugendlichen
zur Kenntnis genommen habe.
– Ich lege der Leitung unserer Institution vor Beginn meiner Tätigkeit
ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis nach § 30a BZRG zur
Einsicht vor; die Wiedervorlage erfolgt alle 5 Jahre.
– Ich nehme regelmäßig (alle 3 Jahre) an einer Schulung teil, die der
Vermeidung von Kindeswohlgefährdung dienst, erstmals während des
ersten Jahres meiner Tätigkeit als Kursleiter/in.

Quelle: Fortbildung in der Ev. Familien-Bildungsstätte Gießen, 26.9.2019 – Text verallgemeinernd abgewandelt (d. Verf.)

Wildwasser Gießen ist eine Beratungsstelle für Opfer sexueller Gewalt.
Dort werden kostenlos Beratungen angeboten für betroffene Mädchen und Jungen, für Eltern und Unterstützungspersonen und für lokale Fachkräfte – zur Gefährdungseinschätzung § 8a SGB VIII.

§1631 BGB: Inhalt und Grenzen der Personen sorge
1. Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht,
das Kind zu Pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen
Aufenthalt zu bestimmen.
2. Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche
Bestrafung, seelische Verletzungen und andere Maßnahmen sind
unzulässig.

§1666 BGB Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls
1. Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahren abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

Das Wohl des Kindes ist gefährdet z.B. durch
– missbräuchliche Ausübung der elterlichen Gewalt‘
– Vernachlässigung des Kindes
– unverschuldetes Versagen der Eltern
– Verhalten von Dritten
– wenn Eltern keine Hilfe annehmen (wollen oder können).

Eine Garantenstellung besitzt, wer Schutz- und Beistandspflichten übernommen hat. Entscheidend für die Begründung der Garantenstellung ist nicht das Vorliegen eines Arbeitsvertrages oder eines Dienstverhältnisses sondern die tatsächliche Übernahme der Vertrauensstellung. Der oder diejenige ist aufgrund der sozialen Sonderstellung verpflichtet, Gefahren von der Person, die er/sie betreut, abzuwenden.
Ist eine solche Person untätig, wenn sie von der Gefahr für die Betreute weiß, kann sie nach § 13 StGB wegen „unechter Unterlassung“ verurteilt werden. Dies bedeutet, dass die untätige Person verurteilt werden kann, als hätte sie selbst die Straftat (z.B. sexuellen Missbrauch) begangen.

Wesentliche Vorgaben für den Schutz von Kindern und Jugendlichen sind:
– nicht mehr alleine handeln
– Gefährdung einschätzen
– erfahrende Fachkraft hinzuziehen
– prüfen, ob man mit den Eltern reden darf
– falls möglich, Eltern Hilfe anbieten
– Hilfsangebote an die Eltern kontrollieren
– zur Nachvollziehbarkeit der Intervention genau dokumentieren.

Quelle: PowerPointPräsentation der Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch Wildwasser Gießen e.V. – „Sicher in die Welt“ – anlässlich einer Qualifizierung für Tagespflegepersonen

Weitere Infos z.B.:
file:///C:/Users/Alfon/AppData/Local/Temp/4_12_14%20Bericht%20kurz.pdf
https://service.hessen.de/html/Beratung-bei-Kindeswohlgefaehrdung-durch-eine-Kinderschutzfachkraft-7087.htm https://www.dresden.de/media/pdf/jugend/kinderschutz/Handlungsempfehlung_Kindeswohlgefaehrdung.pdf
https://mbjs.brandenburg.de/media_fast/6288/empfehlungen_kinderschutz_bbg.pdf
https://statistik.hessen.de/pressemitteilungen/pm_1879.html
https://lks-hessen.de/sites/default/files/downloads/inhalte/Broschuere%20Kassel.pdf

Bild: unicef.de

Regeln lernen – auch ohne “Nein, nein”

Dieses Bild hat ein leeres Alt-Attribut. Der Dateiname ist urn-newsml-dpa-com-20090101-190813-99-445476_large_4_3.jpg

Besser auf Augenhöhe: Statt aus dem Nebenzimmer zu schimpfen, sollten Eltern Kindern konkret erklären, dass etwa alle Spielsachen vom Boden in die Kiste sollen.

Foto: Andrea Warnecke/dpa-tmn; Bild: dpa-infocom GmbH

Das Kind sollte längst in der Kita sein, denn die Arbeit ruft. Doch der kleine Trotzkopf zieht sich einfach nicht an. Jetzt bloß nicht schimpfen, sagt eine Expertin. Denn das frisst nur noch mehr Zeit.

“Verdammt noch mal, wie oft soll ich es dir noch sagen?!” Wie viele Kinder hören diesen blöden Spruch tagein, tagaus von ihren gestressten Eltern.
Aber wahrscheinlicher ist, dass sie den Text gar nicht hören – weil er in ein Ohr reingeht und zum anderen wieder raus. Nein, die Kinder lernen an der Stelle vor allem, dass dieser Ton und diese Lautstärke OK sind. Hier passiert sehr schnell “Lernen durch Nachahmen” und kaum eine Zeit später, bekommen die Eltern das Echo dieser eigenen “Ungezogenheit”, der fehlenden Ruhe und Gelassenheit, des fehlenden Nachdenkens und Reflektierens über das eigene Tuns, zurück.

Warum bringt Schimpfen nichts?
Nicola Schmidt: “Sobald man schimpft, verliert man den Kontakt zum Kind.
Mal angenommen, man würde einen Partner oder einen Kollegen kreischend anblaffen, wie oft man ihm etwas noch sagen solle. Der würde doch auch sofort dicht machen.

Als sehr hilfreich sehe ich (Dr. med. Alfons Lindemann, ärztl. Psychotherpeut) hier das Modell einer Ampel: steht die Ampel auf Grün (man ist entspannt und gelassen, rational), darf man fahren bzw. handeln. Bei Gelb (das ist man schon emotionaler) gilt Achtung, bitte bleib in einem Bereich, den du noch regulieren kannst. Bei Orange-Gelb wird es schon sehr kritisch und bei Rot muss man sich in jedem Fall stoppen. Verlassen Sie die Situation, beenden Sie jede Diskussion. In diesem Zustand – bis die ausgeschütteten Hormone nach ca. 20 – 30 Min. aus dem Blut sind – ist nur noch Eskalation möglich. Da ist man von der Dynamik des Geschehens versklavt!
Denn dann wechselt der Modus der Alltagslogik, in dem man kreativ denken kann, in den Modus der Affektlogik. Dort herrschen nur noch archaische, uralte Instinkte, die dazu ausgelegt waren, vor einem Fressfeind zu fliehen oder sich im verwegen mit äußerster Aggression entgegenzustellen … oder, wenn gar nichts mehr geht, sich tot zu stellen, nichts mehr zu merken.

Es gibt Situationen, da fühlen sich Eltern unter Druck. Damit dann etwas vorangeht, scheint Schimpfen der einzige Ausweg.
Es ist jedoch ein Zustand in dem der Erwachsene selbst in Panik ist, keine Lösung, keinen Ausweg mehr sieht, außer aggressiv vorzugehen, zu Schreien, sich in Drohgebärden zu ergehen oder gar wirklich gewalttätig zu werden. (Letztlich möchte man den anderen ja erreichen!)
Aber diese Umgangsformen können auch vom Gegenüber nicht mehr als freundlich, bemüht und “im Grunde genommen” sinnvoll aufgefasst werden.
Wenn Sie das also merken, sind Sie oder Ihr Kind schon im roten Bereich sind, also im Notfallmodus, in dem kreatives Denken und Perspektivenwechsel kaum noch möglich sind, weil hier ausgeschüttete Hormone mitsteuern: Dann ist das für den Erwachsenen ein klares STOPP-Zeichen!
Was immer das Kind dann tut. Das eigen Gefühl dazu beim Erwachsenen spiegelt hier in der Regel den emotionalen Zustand des Kindes: beide fühlen sich in Not und reagieren nur nach den Gesetzten der Affektlogik, also irrational = ohne Vernunft. Hier regiert unser Reptiliengehirn, vom vernünftigen menschlichen Bewusstsein ist nun kaum etwas übrig!
Beide brauche dringend Beruhigung und Trost und Zeit, damit die Stresshormone wieder aus dem Blut ausgefiltert werden können (ca. 30 Minuten, manchmal länger). Verständnis und Hilfestellung oder zumindest Abstand, um nicht mehr mit dem als bedrohlich erlebten Gegenüber (das mir seine Sicht der Welt aufdrängen will) konfrontiert zu sein.

Schmidt: “Wenn Eltern gestresst sind, schalten sie in den Alarmmodus.
Viele Verhaltensweisen der Kinder erscheinen als Bedrohung, die man nur eindämmen müsse, damit Kinder funktionieren. Doch unter Dauerstress fällt es uns schwer, mit den Kindern mitzufühlen.”
(Unbewusst sind eigene schmerzliche Erfahrungen aus der Kindheit angesprochen, die man als Erwachsener wegen der kindlichen Amnesie nicht mehr bewusst erinnert. Dennoch sind die Erfahrungen da und wirken gerade deshalb, weil wir sie nicht wissen, durchschlagend. Im Wiederholen, indem wir nun auch dem eigenen Kind das antut, was wir selbst erlitten haben, müssen wir nicht mehr alleine leiden und allein sein mit diesen schrecklichen Gefühlen. Erwachsene erleben das kindliche Verhalten als Provokation und als drücken “roter Knöpfe”; erkennen nicht, das sich hier szenisch die Möglichkeit der Erinnerung bietet. Innen tobt ein Loyalitätskonflikt zwischen Kindes- und Elternliebe, da man hier im Tun, im ähnlich sein, unbewusst seinen eigenen Eltern noch mal nahe sein kann. usw. …
Dabei fühlt es sich an, als ob man diesen Reaktionen ausgeliefert wäre, statt sie aktiv zu steuern.
Für eine Veränderung solcher Muster und Selbstbestimmung ist es notwendig, sich die eigenen Themen genau anzuschauen, zu trauern und durch Anerkennen dessen, was war, seinen Frieden damit zu finden. (Anm.d.Verf.))

Wie reagieren Eltern im Idealfall mitfühlend?
Schmidt: Wie oft rufen Eltern aus dem Nachbarzimmer vier, fünf, sechs, sieben, acht Mal Anweisungen wie: “Räum deine Legokiste ein!” “Zieh dich an!”, “Putz die Zähne!”
Das hören Kinder gar nicht. Dazu sind sie viel zu vertieft.
Statt wie eine Schallplatte zu klingen, ist es besser, direkt zu dem Kind zu gehen.
Auch lautes Schreien signalisiert dem Kind lediglich, dass diese Tonart OK ist.
Der Sinngehalt von lautem Text ist ja kein anderer, als der des ruhigen Tons!
Kinder imitieren die Erwachsenen, weil sie auch so toll und groß sein möchten, wie die Eltern.
Die beste Unterstützung des Kindes ist also die Arbeit an sich selbst: das Vorleben des gewünschten Verhaltens; es hinbekommen, es sich gut gehen zu lassen, Denn nur attraktives wirkt anziehend.

Lindemann: Mit Abstand, mit Blick auf den Prozess, lässt sich die Situation besser einschätzen, um eine kreativen Ausweg aus einer Situation zu finden, die beiden oder der Situation hilft. Die Forderung geht klar an den Erwachsenen, der die Situation besser überblickt und auch durchzusetzen und zu verantworten hat. (Viele Eltern scheuen heute einen Konflikt. Doch auch den brauchen die Kinder so notwendig, wie das eingebettet sein in die Liebe der Eltern, in deren Vertrauen und Zutrauen.)
Nur im direkten Kontakt mit dem Kind kann man Augenkontakt aufnehmen. (In Ihr Handy sprechen Sie ja auch nicht, bevor sie die Nummer gewählt und den “grünen Knopf” gedrückt haben, das Gegenüber sich gemeldet hat, oder?) Und dann?
Schmidt: Dann hockt, kniet oder setzt man sich auf gleiche Augenhöhe und berührt das Kind.
Beim Sprechen nicken, lächeln und klar machen “Ich kenne das auch, dass man manchmal nicht Schluss machen möchte, ich möchte jetzt, dass wir…”.
So kann sich das Kind ernst genommen fühlen, statt von oben herab behandelt.
Wichtig ist auch, persönlich zu bleiben. Man sollte nie sagen: “Das macht man nicht”. Stattdessen kommt es besser an, etwa zu sagen: “Ich will, dass du nicht kippelst. Das ist mir zu unruhig.”
Lindemann: Diese sogenannten “Ich-Botschaften” machen Aussagen verbindlich und nachvollziehbar. Das ist das allgemeine “Gedoodel” mit einem unpersönlichen “man” oder “Du”-Zuschreibungen nicht (denn bei den “Du-bist-Sätzen” fehlt immer der Vorspann: “ich finde, Du bist …”. Es ist nämlich nie eine objektive Aussage, sondern immer eine von mir subjektiv getroffene Zuschreibung. Und Ihr schlaues Kind weiß das intuitiv.

Frau Schmidt schlägt vor, das Wort “Nein” zu verbannen und dafür eine Ja-Umgebung zu schaffen. Wie soll das funktionieren?
Schmidt: Wenn man dem Kind immer nur “Nein, Nein” sagt, lernt es keine Regeln.
Auch wenn Sie umgekehrt verbreiten, das Kind solle “lieb” sein; was soll ein Kind darunter verstehen?
Lindemann: Sagen Sie doch einfach, was Sie wollen oder was Ihnen als Regel wichtig ist.
Schließlich sind Sie als Eltern die gesetzlich Erziehungsberechtigten (wie es irrtümlich so schön heißt). Nein wirklich, Eltern sind Erziehungsverantwortlich, d.h. anleitend – auch wenn alle sich immer gegenseitig “erziehen” und gerne die Dinge wiederholen, die funktionieren, die Spaß machen, also emotional besetzt werden können, oder zumindest regelmäßig vorkommen.

Wie geht ein “empathisches Nein”?
Schmidt: Angenommen das Kind will unbedingt noch eine spätere Sendung sehen. Statt sich ein Nein-Doch-Gefecht zu liefern kann man entgegnen: “Ich höre dich. Es geht nicht. Aber was ist so cool oder lustig an der Sendung?” Und dann ist man im Gespräch über die Sendung und nicht mehr über das Ja-oder-Nein. Oder Sie lenken das Gespräch auf die Regel und den Sinn dessen. Oder Sie fragen einfach mal nach dem Grund, warum es dem Kind so wichtig ist und hören zu. Das kann sehr helfen, eine bessere Verständigung und ein besseres Verstehen zu ermöglichen.
Oder wenn Kinder kurz vor dem Abendessen wilde Dinge vorschlagen, wie jetzt noch kurz ins Schwimmbad zu gehen. Eine Erziehen-ohne-Schimpfen-Reaktion wäre z.B.: “Eine tolle Idee! Würde ich auch gern. Aber hast du eine Idee, wie wir das in einer Stunde schaffen können, ohne uns total abzuhetzen?” So erkennt man die Idee an und kann zusammen überlegen, warum das nicht klappt oder ob es alternative Möglichkeiten gibt. Denn sehr wahrscheinlich gibt es einen (zumindest im kindlichen Kopf) sinnvollen Beweggrund, der Ihr Kind auf die Idee gebracht hat.

Viele Eltern kennen das: Gehetzt holen Sie ihre Kinder von der Kita ab und haben schon die nächste Aktion im Kopf: Jetzt noch schnell Einkauf, Paket abholen, Reinigung…
Lindemann: Übersetzt heißt das: sie sind nicht da, wo sie sind, nicht Hier und Jetzt, sondern gedanklich schon Da und Dort … allerdings, ohne auf Da und Dort im Hier und Jetzt schon Einfluss nehmen zu können. Dafür aber verpassen Sie das, was ist. … und das vermutlich mehrfach, wenn das Muster nicht erkannt und unterbrochen wird. Zu spüren ist solch ein Verhaltensmodus meist an Unzufriedenheit, Unausgeglichenheit, Schlafstörungen, Lustlosigkeit, Sarkasmus, negativem Gedankenkreisen usw.

Schmidt: …und da wundern Sie sich, dass die meiste Zeit mit Quengeln, Schreien, Wutanfällen und Schimpfen über die Bühne geht? Nicht wirklich, oder?
Ich rate immer: Erstmal nach der Kita eine halbe Stunde Zeit zum Kuscheln nehmen, bevor man irgendwas anderes macht. Glauben Sie mir: Das geht schneller und ist gut investierte Zeit.
Unter dem Motto: Zeit “verlieren”, um viel mehr “Zeit zu gewinnen”.
Lindemann: Das ist ein lustiges Motto, wo der Tag doch immer gleich 24 Stunden hat! Wo soll da der Gewinn herkommen? Es kann also kein Zeitgewinn entstehen! Setzt man die Prioritäten jedoch anderes, so dass man präsent ist, also im Präsens, im Hier und Jetzt. So gibt es einen erheblichen Gewinn an Da-Sein, am miteinander sein können,an befriedigenden Erlebnissen, weil es echten, gefühlten Kontakt gibt.

Quellen: Nicola Schmidt: Erziehen ohne Schimpfen, Gräfe und Unzer, 176 Seiten, 16,99 Euro, ISBN-13: 978-3-8338-6856-6.
https://www.nwzonline.de/familie-meldungen/schimpfen-bringt-nichts-wie-kinder-regeln-am-besten-lernen_a_50,5,2348186408.html
Gießener Anzeiger, 9.9.2019
Dr. A. Lindemann: eigene Erfahrungen und theoretisches Wissen darum, wie unser Gehirn so funktioniert.

Fortsetzung

Wenn, dann … – Sätze konstruieren Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein anderes Ereignis (meist in der Zukunft) eintritt.
Solche Aussagen grenzen schon für Erwachsene an Wahrsagerei; Kindern machen diese Ankündigungen einfach nur Angst.
“Wenn Du nicht gleich aufräumst, dann …”
“Wenn Du nicht aufhörst, gegen den Sitz zu treten, werfe ich Dich aus dem Auto.”
Solche Drohungen sind bei Normalbürgern einfach absurd und sowieso nicht durchzuhalten. Zudem schleifen sich solche Aussagen, mehrfach gebraucht, einfach nur ab und Kinder können die Erwachsenen nicht mehr ernst nehmen. Damit geht ihnen notwendige Führung verloren.

Wer also solche Sätze formuliert, sollte sich genau überlegen, was damit bezweckt wird und was damit tatsächlich erreicht wird und ob er selbst die Bedingungen einhalten kann, die er da aufstellt.
Drohungen gegenüber Kindern sind keine gute Idee. Sie Zerstören Vertrauen.

Außerdem lügen sich die Eltern mit solchen Sätzen meist nur selbst in die Tasche – denn Drohungen die sie nicht umsetzen (können), demonstrieren, dass die Eltern sich selbst nicht ernst nehmen und ergeben damit eine Schwächung des eigenen Selbst, Damit leidet das Sicherheitsbedürfnis des Kindes.

Kinder brauchen kongruentes (in allen Punkten übereinstimmendes) und konsequentes (folgerichtiges, schlüssiges) Verhalten.
Also wenn schon Sanktionen erfolgen, dann muss das rasch / zeitnah / unmittelbar sein, damit das Kind auch die Zusammenhänge korrekt verknüpfen kann.
Konsequenzen sollten dabei immer angemessen sein.
Hat man in seiner Not 3 Tage Stubenarrest ausgesprochen, sollte man die Größe haben, das in einem klärenden Gespräch – wenn sich die Gemüter beruhigt haben – zurückzunehmen.
Wichtig wäre hier auch, dem Kind einmal zuzuhören. Denn es hat(te) auch Beweggründe für sein Verhalten, das in seiner Sicht der Welt möglicherweise für den eigenen Selbsterhalt essentiell war.

Will man Kindern allerdings Regeln und Grenzen oder Normen beibringen, können Wenn-dann-Sätze allerdings durchaus sinnvoll sein, um Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu erklären.
Wenn das Kind um die Regeln weiß und sie bricht, ist es wichtig auf die Grenzübertretung angemessen zu reagieren oder Verbote auszusprechen.
Das Aufzeigen von Konsequenzen: “Wenn Du Deine Hausaufgaben nicht machst, bekommst Du in der Schule Ärger”, ist also durch aus sinnvoll.
Aber auch hier lohnt es meist, sich Zeit zum Zuhören zu nehmen.

Quelle: Gießener Anzeiger, 24. 2. 2020

Wahrnehmung – unsere inneren Universen

Wir sehen die Dinge nicht,
wie sie sind;
wir sehen sie so,
wie wir sind.

Das Gehirn als Prognosemaschine

Was echt ist und was nicht, erscheint in unserer heutigen Gesellschaft zunehmend beliebig zu werden … und zeigt sich in zunehmendem Maße als ganz real gefährlich.
In besonderem Maße nehmen z.B. Kriegsparteien unterschiedliche Realitäten wahr und glauben fest daran.
Aber auch bevor es Krieg wird, stehen sich Gruppen mit ihren Vorurteilen oft feindselig gegenüber.

Grundlegend unterschiedliche innere Universen (Vorstellungswelten) finden wir aber nicht nur bei Kriegen und Psychosen. Sie sind unser Alltag.

Wie leicht sich unsere Wahrnehmungssysteme austricksen lassen, wissen wir alle und sehen es oben am Beispiel einer optischen Täuschung.

Die Annahme, ein richtig funktionierendes Gehirn würde dem Bewusstsein die Dinge genau so präsentieren, wie sie wirklich sind, zeigt sich (schon bei der optischen Täuschung) als Fehleinschätzung.
Tatsächlich besitzen wir kein direktes Fenster zu einer objektiven Realität.

Schon im 17. Jahrhundert unterschied der englische Philosoph John Locke (1632-1704) zwischen “primären” und “sekundären” Qualitäten.
Die “primären” Qualitäten eines Objekts, wie seine Festigkeit oder der Raum, den es einnimmt, existieren unabhängig von demjenigen, der sie wahrnimmt. “Sekundäre” Qualitäten, wie etwa Farbe, gibt es dagegen nur durch den Betrachter.
Denn seit Isaac Newton ( 1642-1726) wissen wir jedoch, dass Farben in der Außenwelt nicht existieren. Sie werden vielmehr vom Gehirn aus Mischungen farbloser elektromagnetischer Strahlung unterschiedlicher Wellenlängen zusammengebaut.
Zudem nehmen wir Menschen nur einen winzigen Ausschnitt aus dem elektromagnetischen Spektrum zwischen Infrarot bis Ultraviolett wahr. Damit können Wahrnehmungserlebnisse keine umfassende Wiedergabe einer objektiven Außenwelt darstellen.

Vielmehr, so der heutige Stand der Erkenntnis, stellt unser Gehirn fortlaufend Vermutungen über die Welt da draußen an und gleicht Sinneseindrücke ab, um damit die Realität zu konstruieren, die wir dann wahrnehmen. Es erzeugt sozusagen eine Art kontrollierte Halluzination.

Dennoch ist daraus keineswegs zu folgern, dass nichts real wäre.
Die Interpretation der Wahrnehmung als kontrollierte Halluzination bedeutet also nicht, dass es klug wäre, Wahrnehmungen aus der Welt für illusionär zu erklären und z.B. vor ein Auto zu laufen.

Die Realität, die wir erleben, ist mal weniger, mal mehr als das was außen wirklich da ist.
Die Welt, wie sie zu sein scheint, spiegelt nicht unbedingt wieder, was tatsächlich vorhanden ist. Unser Geist schafft sich seine Realität.

Es handelt sich also nicht um ein passives Aufnehmen einer äußeren, objektiven Realität, sondern um einen aktiven Konstruktionsprozess – eine kontrollierte Halluzination:
Andauernd entwickelt und aktualisiert das Gehirn plausible Hypothesen (Annahmen) über Sinneseindrücke. Hierfür kombiniert es frühere Erwartungen oder “Überzeugungen” über die Welt mit den neu hinzukommenden sensorischen Daten, die über Augen, Ohren, Nase, Fingerspitzen und alle weiteren sensorischen Kanäle eintreffen, und berücksichtigt dabei auch die Zuverlässigkeiten der Signale.
Aus den Unterschieden zwischen vorhergesagten und tatsächlichem Input resultiert der “Vorhersagefehler”, mit dem das Gehirn die Prognosen aktualisiert und sich auf die nächste Runde vorbereitet.
Dabei sucht es stets, die Abweichung so niedrig wie möglich zu halten.
Die daraus sich ergebende plausible Vermutung ist dann das, was wir letztlich wahrnehmen.
Unsere Wahrnehmungswelt besteht also aus kontrollierten Halluzinationen, mit denen das Gehirn Vermutungen über die unergründlichen Ursachen der sensorischen Signale aufstellt.

Die meisten von uns erleben solche kontrollierten Halluzinationen als real – allerdings nicht immer.
Manchen Menschen (z.B. in dissoziativen Zuständen) empfinden ihre wahrgenommene Welt oder ihr eigenes Ich als irreal.

Da die Eindrücke, mit denen jedes Gehirn arbeitet, entstehen im Umfeld des eigenen, ganz individuellen Lebens- und seiner Informationsgeschichte. Daher lebt jeder von uns in seiner eigenen (inneren) Welt, die sich von derjenigen der anderen Mitmenschen unterscheidet.

Immer kommt es sehr darauf an, wie wir damit umgehen.
Wir können eine eher spaltende, Unterschiede betonende, pessimistische oder eine Zusammenhänge betonende, integrierende, tolerante, optimistische Grundhaltung einnehmen.
Je nachdem entstehen unterschiedliche Erwartungen, vershiedenartiges Erleben und eigene Weltbilder … mit mehr oder weniger Spielraum zur Alltagsbewältigung.

Quellen: Seth, Anil K.: “Wahrnehmung – Unsere inneren Universen“, in Spektrum der Wissenschaft 2.20, 2020, S. 18-24, URL: (Stand: 01.02.2020) und https://www.michaelditsch.de/koerper-psyche/individuelle-realitaet