Eine kurze Geschichte der Religion – Teil 4

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Zu den Rätseln, denen sich der Mensch seit jeher gegenübersieht und deren Lösung er in der Religion sucht(e), gehört die Sexualität.
Anfangs hatte man nicht einmal den Zusammenhang zwischen Koitus, Schwangerschaft und Geburt begriffen. Die Rolle des Mannes bei der Fortpflanzung war noch unbekannt. Die Fruchtbarkeit wurde in der Gestalt von Muttergottheiten verehrt.

Doch der Mann imponierte durch seinen Penis, dessen Vergrößerung und Erektion wie ein Wunder wirkte. Der Phallus wurde zum Symbol der Herrschaft und wurde in Form von Totemphählen, Tempelsäulen und Königszeptern verehrt.

In frühen Mythologien beginnt die Geschichte der Menschheit mit einer Frau; damals hatte man die Geburt eines Kindes nur auf die Mutter zurückführen können. Erst später entstanden Legenden wie die biblische Geschichte von Adam und Eva, nach denen der Mann das erste menschliche Wesen gewesen sei.
Der Wandel entsprach dem Übergang vom Mutterrecht zum Patriarchat. Die neue Auffassung beeinflusste ihrerseits fortan die Geschlechterrollen von Mann und Frau.

Durch die Geschichte der Religionen zieht sich der Konflikt zwischen einer Verherrlichung und einer Abwehr der Sexualität, da sie so eng mit dem Schöpfungsakt und dem Beginn von Leben assoziiert ist.
Nirgends sonst lässt sich das Wunde der schöpferischen Natur so unmittelbar erleben wie in der Kette der Fortpflanzungsfunktion – die früher zugleich – für Frau und Kind – so nah dem Tod war.
Nichts kann dem Menschen ein so vollkommenes Glück bieten wie die sexuelle Lust. Nichts bindet Menschen so aneinander wie die geschlechtliche Liebe. Nichts bringt Menschen so in Rage wie enttäuschte Liebe, Eifersucht und Besitzstreben. Nichts ist in diesem Zusammenhang so dumm, wie Letzteres.

Frühe religiöse Rituale waren sexuelle Orgien. Die Götter des Polytheismus lebten den Menschen die Sexualität gleichsam vor, die Ehe wie den Ehebruch, die Verliebtheit wie die Promiskuität, den Inzest wie die Strafe dafür, die erbitterten Rivalitäten wie die Formen der Perversion.

Aber die Ordnung des Gemeinschaftslebens im Interesse auch der Arbeitsteilung ließen sich nur durch sexuelle Einschränkungen etablieren und aufrechterhalten. Solche Regeln werden von Religionen „geheiligt“.
Zudem erkannte man schon sehr früh, dass religiöser Dienst und religiöse Versenkung (wie in der Gnosis) eine gewisse Abkehr von sinnlichen Freuden voraussetzt. Der Triebstrom, die Libido, musste von seinem Ursprung abgelenkt, „zielgehemmt“ und sublimiert werden, um ganz in die Gottesliebe münden zu können.
Die Sexualität wurde zu Rivalen der Religion.
Um die Menschen auf die ewige Seligkeit auszurichten, die viele Religionen ihren Gläubigen versprechen, musste die irdische Lust aus der Sexualität herabgesetzt und eingedämmt werden.
Doch die Kräfte der Libido, die in die Religion eingebracht werden, haben sie stets sexuell eingefärbt.
Die Heiligen haben ihre Visionen oft mit Worten geschildert, als ob sie eine sexuelle Erfahrung beschreiben.
Je mehr sie ihre Askese steigerten, desto intensiver wurden sie von sexuellen Versuchungen verfolgt.
Die Lieder, mit denen man Jesus, die Madonna oder eine Heilige pries, lesen sich oft wie Liebeslieder.

In dem Kampf gegen die eigene Sexualität wurden die Tendenzen des Sadomasochismus hochgetrieben, der Masochismus in der Selbstbestrafung für „sündige“ Gedanken, der Sadismus in der Verfolgung der Sexualität bei anderen und häufig im Verteufelten der Frau als Verführerin (z.B. als Hexe). Man zwang sich zu einer Verdrängung sexueller Gedanken und flüchtete in eine Neurose.

Jede Religion, jede „Kirche“ und Konfession sucht einen etwas anderen Ausweg aus dem Konflikt zwischen Anerkennung der Sexualität als der Voraussetzung jeden menschlichen Lebens und ihrer Abwehr. Manchmal ist es der Weg in den Himmel (z.B. Kamasutra), manchmal in die Hölle. So haben einige Sekten sexuelle Scheinfreiheiten gelehrt wie Nacktheit, sexuelle Vermischung oder Polygamie, um so dem Trieb ein Ventil zu schaffen.
Die katholische Kirche verweist auch den sexuellen „Sünder“ auf Beichte und Buße und befreit ihn auf diese Weise von seinen Gewissensqualen.
Aus dem Protestantismus erwuchs die Auffassung, dass der Mensche seine Energien in die Arbeit einbringen soll (Puritaner); die Sexualität wurde krampfhaft geleugnet (Prüderie).

Die sexuellen Einschränkungen durch die Religionen geben jedoch der geschlechtlichen Liebe auch einen höheren Rang. Sigmund Freud wies darauf hin, „dass die asketische Strömung des Christentums für die psychische Liebe Wertungen geschaffen hat, die ihr das heidnische Altertum nicht verschaffen konnten“.

Ein Gegenbild dafür bieten die ausgeprägten Formen des Fetischismus.
Wilhelm Stekel hat ihn als „Privatreligion“ charakterisiert. Das erotische Idol wird hier wie ein Götze verehrt, die fetischistischen Handlungen zum Ritual stilisiert. Dennoch stellt auch der Fetischismus eine Sexual-einschränkung dar, einen Ersatz der genitalen Sexualität, eine Vergeistigung, eine Versenkung in Ideen.

Nahezu alle typischen Inhalte und Formen der Religionen haben auch ihr Widerpart in der „Verherrlichung“ des „Bösen“, den schwarzen Messen und anderen protesthaften Zermonien. Ihren sexuellen Gehalt verdanken sie nicht zuletzt einer Rebellion gegen religiös-moralische Sexualtabus.

Religion verspricht Geborgenheit, ihre Kulte bieten sinnliches Erleben.
In ihrer Doppelfunktion, deren beide Tendenzen sich ständig streiten, spiegelt sich der Konflikt, der auch alle Erotik durchzieht.


Literatur:
Ludwig Knoll, Kultur/Geschichte der Erotik, 1982, Band VIII

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