Jesus hätte auch ein Mädchen, oder oder werden können – Teil 1

Dieser Artikel ist um Weihnachten herum entstanden, daher erklärt sich der Titel.

Gerade die Weihnachtszeit, in der wir uns symbolisch auf die Ankunft eines Kindes freuen und die Wiedergeburt des Lichtes mitten im Winter feiern, scheint mir ein geeigneter Anlass, mich diesem Thema, das so Vorurteilsbehaftet ist, zuzuwenden und Aufklärung zu betreiben.

HO HO HO

Nach langem Sträuben und Verleugnen hat der Gesetzgeber 2018 endlich offiziell anerkannt, dass es mehr als zwei “Geschlechter” gibt – wobei ich finde, dass es zwei “Gegute” heißen müsste, was automatische andere und freundlichere Assoziationen hervorrufen würde. Traditionell aber, vor religiösen Hintergründen, wurden körperliche Belange, assoziiert mit weiblich, als schmutzig und nieder gewertet, im Vergleich zu, verknüpft mit männlich, Geistigem und Tanszendentem (jenseitigem).
Unsere Körper, unsere biologische Natur, ist aber nun mal die Basis unseres Lebens, das wir identifiziert mit bestimmten Daseinsmustern verbringen. Die Natur, wie auch unsere Kultur, bringen nun unterschiedliche Daseinsformen hervor, die hier aus medizinischer wie aus psychologischer Sicht näher angeschaut werden können:

Die biologischen Bedingungen im Frau Inter Trans Mann – Werdeprozess

In den Frühstadien seiner Entwicklung trägt der Säugetierembryo das Potential (die Anlage) zur männlichen wie zur weiblichen Form in sich.

Lithograph by J. G. Bach of Leipzig after drawings by Haeckel, from Anthropogenie published by Engelmann – Nick Hopwood. “Pictures of Evolution and Charges of Fraud:: Ernst Haeckel’s Embryological Illustrations”, Isis 97 (2006), 260-301 

Die anfänglich undifferenzierten Keimdrüsen (Gonaden) entwickeln sich entweder zu Hoden oder zu Eierstöcken, je nach dem genetischen Kode, den die unterschiedlichen Erbanlagen (Chromosomen) der männlichen 46, XY- oder der weiblichen 46, XX-Gene bilden.
Dennoch verläuft diese Differenzierung (Unterschiedsbildung), ungeachtet der genetischen Programmierung, stets in Richtung der weiblichen Form, sofern nicht die erforderlichen Testosteronspiegel (ein Sexualhormon) im Blut der Mutter und damit des Kindes gegeben sind. Mit anderen Worten: selbst wenn die Erbinformation mit XY-Chromosom männlich ist, führt eine zu geringe Menge am Sexualhormon Testosteron zur Ausbildung weiblicher Geschlechtsmerkmale. Das Prinzip der Feminisierung hat dann Vorrang gegenüber der Maskulinisierung.

Videos zur Anatomie der Geschlechtsorgane

Beim Menschen sind die primitiven, urtümlich Keimdrüsen ab der 6. Schwangerschaftswoche auszumachen, wenn beim männlichen Embryo unter dem Einfluss des genetischen Kodes testikuläre, also vom Hoden kommende, Hormone ausgeschüttet werden.
Messbar sind dann zum Einen der Müllersche Hemmstoff, der eine hemmende Wirkung auf die normale weibliche Entwicklung der Gonaden ausübt und zum Anderen das Testosteron, das das Wachstum innerer und äußerer männlicher Organe fördert; insbesondere die Entwicklung der beidseitig angelegten Wolffschen Gänge (der Ur-Nierengänge).
Liegt ein weiblicher Gencode vor, setzet in der 12. Schwangerschaftswoche die Ausdifferenzierung der Eierstöcke (Ovarien) ein. Im Verlauf der normalen weiblichen Entwicklung wird aus den primitiven Müllerschen Gängen die Gebärmutter (der Uterus), die Eileiter und das innere Drittel der Vagina.
Bei Männern dagegen entwickelt sich das System der Müllerschen Gänge zurück, während sich das System der Wolffschen Gänge ausbildet und zu Samenleiter, Samenblasen und Ausspritzungsgängen wird.

Während also die inneren Vorläufer sowohl von männlichen als auch weiblichen Geschlechtsorganen zur möglichen Entfaltung bereitliegen, sind die Vorläufer der äußeren Genitalien unitypisch; das heißt, dieselben Vorläufer können sich entweder zu männlichen oder zu weiblichen äußeren Geschlechtsorganen entwickeln.
Sind während der kritischen Phase der Unterschiedsbildung ab der 9. Schwangerschaftswoche keine passend hohen männlichen Sexualhormone (Androgene: Testosteron und Dihydrotestosteron) gegeben, kommt es zur Entwicklung von Klitoris, Vulva und Vagina. Sind die Hormonspiegel passend hoch, bilden sich Penis mit Eichel und Hodensack. Bei normalem Verlauf entwickeln sich die Hoden innerhalb es Bauchraumes (Abdomen) und wandern während der 9. Schwangerschaftswoche an ihre Position im Hodensack (Skrotum).

Nachdem die Entwicklungsrichtung von inneren und äußeren Genitalien festgelegt ist, verläuft – unter dem Einfluss der im vorgeburtlichen (fötalen) Kreislauf zirkulierenden fötaler Hormone – die Entfaltung bestimmter Hirnbereiche dimorph
(Als dimorph bezeichnet man in der Biologie das Auftreten in zwei verschiedenen Formen der selben Gattung.)
Das Gehirn ist ambitypisch angelegt, also typischerweise ambivalent, doppelsinnig, zwiespältig, widersprüchlich; und auch hier setzt sich die Entwicklung weiblicher Charakteristika durch, wenn kein adäquater Spiegel an vermännlichenden Hormonen im Blut zirkulieren.
So kommt es zur jeweils spezifischen (unverkennbaren) Ausgestaltung von Funktionen im Hypothalamus und in der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse), die sich bei Frauen hin zum Zyklischen (wiederkehrenden, periodischen) und bei Männern hin zum Nichtzyklischen ausformen. Diese Differenzierung des Gehirns hin zum weiblichen oder männlichen Typus erfolgt im 3. Schwangerschaftsdrittel (27. -40. Schwangerschaftswoche), nachdem die Unterschiedsbildung der Geschlechtsorgane stattgefunden hat. Vermutlich setzt sich diese Entwicklung während der ersten drei nachgeburtlichen Monate noch fort.

Bei Säugetieren, die keine Primaten sind, legen die vorgeburtlichen hormonellen Unterschiede im Gehirn die Struktur des späteren Paarungsverhaltens fest.

Bei Primaten, wozu auch wir Menschen gehören, hingegen sind frühe soziale Kommunikation und soziales Lernen von vorrangiger Bedeutung für die Ausformung des Sexualverhalten.

Die Steuerung tatsächlichen Paarungsverhaltens ist daher weitgehend von den frühesten sozialen Interaktionen, von den wechselseitigen Formen des Miteinander, abhängig. Dabei reagiert das Kind schon auf kleinste Reize und Stimmungen, auf die Art, wie es gehalten wird, auf das Leuchten in den Augen der Bezugspersonen, auf angemessene Versorgung seiner Bedürfnisse, auf lustvolle Stimulation seiner Haut, ob die Mutter still oder eine Flasche anbietet, usw., ob es sich bedroht oder geborgen fühlt.

Die Ausgestaltung der sekundären (sich später entwickelnden) Geschlechtsmerkmale während der Pubertät – Verteilung von Körperfett und Haarwuchs, Stimmbruch und Stimmwechsel, Entwicklung der Brüste, starkes Wachstum der Genitalien – wird von zentralnervösen Wirkfaktoren in Gang gesetzt und durch einen bedeutsamen Anstieg an im Blut zirkulierenden Andogenen oder Östrogenen gesteuert, ebenso wie die spezifischen weiblichen Funktionen von Menstruation, Schwangerschaft und Milchbildung.

Ein hormonelles Übergewicht kann die sekundären Geschlechtsmerkmale verändern.

Bei Jungen und Männern kommt es durch Androgenmangel, also einem Mangel an männlichen Geschlechtshormonen, zu Gynäkomastie (Brustdrüsenvergrößerung beim Mann), bei Mädchen und Frauen führt ein Androgenüberschuss zu Hirsutismus, also zur Ausbildung eines männlichen Behaarungstyps, zu einem Tieferwerden der Stimme und Vergrößerung, also Hypertrophie der Klitoris. Ob sich Veränderungen im Hormonspiegel auch auf das Verlangen und Sexualverhalten auswirken, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Klar ist, dass sich bei Männern das sexuelle Verlangen bei unzureichender Verfügbarkeit von Androgenen verringert – bis hin zur sexuellen Apathie; bei normalem oder erhöhtem Spiegel an zirkulierenden Androgenen bleibt das Verlangen und Verhalten aber bemerkenswert unabhängig. Führt man bei niedrigem Androgenspiegel künstliches Testosteron zu, normalisiert sich das sexuelle Verlangen und Verhalten. Rollenverständnis und Selbstbild scheinen hier zudem wirksam zu sein.
Ähnlich zeigt sich in Studien an Frauen, dass zwar direkt vor und nach der Menstruation das sexuelle Verlangen gesteigert ist, dass dies aber nur unwesentliche Schwankungen der Hormonspiegel sondern viel stärker von psychosozialen Reizen abhängt. Insgesamt, im Gegensatz zu anderen Säugetieren, liegt das Schwergewicht der sexuellen Erregung (Arousal) beim Menschen eindeutig auf psychosozialen Determinanten (Bestimmungsgrößen, Faktoren).

https://www.kreis-freising.de/fileadmin/user_upload/Aemter/Amt_fuer_Jugend_und_Familie/Besondere_Fachdienste/Koordinierende_Kinderschutzstelle/Koki_Vortrag_Reck_Depressinen_Angststoerungen_2015.pdf

Wenn wir uns die Entwicklung der menschlichen Geschlechtsmerkmale anschauen und auf der biologischen Stufenleiter verfolgen, stellen wir also fest, dass die psychosoziale Interaktion, sowohl ganz früh im Zusammenspiel von Säugling und seinen versorgenden Menschen, insbes. der Mutter, wie auch später eine zunehmend wichtige Rolle bei der Ausformung des erwachsenen Verhaltens – auch des Sexualverhaltens – spielen. Im Verhältnis dazu tritt bei uns Menschen die Steuerung durch genetische und hormonelle Faktoren klar zurück, auch wenn Adnrogene die Intensität des sexuellen Verlangens und des Sexualverhaltens bei Frauen wie bei Männern beeinflussen können. Dabei legen die biologischen Befunde nahe, dass sexuelle Verhaltensweisen, die normalerweise typischer für das eine Geschlecht sind, als Möglichkeit (Potential) auch im anderen Geschlecht vorhanden sein können.
Dennoch sind die Intensität des sexuellen Arousal, die Einengung der Aufmerksamkeit auf sexuelle Reize und die physiologischen Reaktionen sexueller Erregung – gesteigerte Blutzirkulation, Tumeszenz, Lubrikation von Geschlechtsorganen – allesamt hormonell gelenkt.

Foto: Lindemann; u.a.
Quelle: Otto F. Kernberg, Liebesbeziehungen – Normalität und Pathologie, Klett-Cotta, 2014 – Übersetzung Christoph Trunk

Otto F. Kernberg ist Direktor des Personality Disorder Institute am New York-Presbyterian Hospital, Westchester Division und Professor für Psychiatrie am Weill Cornell Medical College, New York. Er war lange Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA) und gilt als einer der bedeutendsten psychoanalytischen Forscher und Theoretiker.

Die 9 bedeutendsten Bedingungen für ein besseres Paarleben

Michael Lukas Moeller, einer meiner Profs im Studium in Gießen, befasste sich, neben Selbsthilfegruppen, lange Zeit mit dem Thema Paartherapie. Unter anderem fragte er Paare: Was sind Eure wichtigsten Liebesbedingungen? und kristallisierte aus den Antworten vieler Menschen folgende Themen als wesentlich heraus:

Basistrias, also 3 grundsätzliche Aspekte

  1.  Initiativ werden
    nicht hoffen, dass etwas passiert oder dass die/der Partner/in die Initiative ergreift, sondern selbst dafür sorgen, dass etwas passiert. Sprechen Sie an, was Sie bewegt, welche Bedürfnisse Sie haben.
    John Gottman, ein anderer Paartherapeut, nennt das: “Wenden Sie sich einander zu und nicht voneinander ab.”
  2.  Zeit zu zweit reservieren
    insbesondere in der Zeit mit kleinen Kindern, aber auch wenn die eigenen Eltern versorgt werden müssen: nehmen Sie sich Zeit für die Zweierbeziehung; sie ist die Grundlage für die Familiengeschichte.
    John Gottman nennt diesen Aspekt: “Pflegen Sie Zuneigung und Bewunderung füreinander.”
  3.  Ungestörtheit garantieren
    Sorgen Sie für einen Babysitter, schalten Sie das Handy aus, schließen sie die Tür ab, organisieren Sie sich einen Platz der Ungestörtheit, damit sich entwickeln kann, was gerade angesagt ist; sei es ein Gespräch, ein gemeinsames Schweigen, eine gemeinsame Arbeit oder gemeinsames Essen oder ein eine Zeit der körperlichen Nähe … die sich entwickelt oder die Sie vorab verabreden und planen.

 Kommunikationstrias, insbesondere bei Paargesprächen

  •  Wesentliches sprechen
    also in der Zeit, die Sie für sich reservieren, über das Reden, was Sie gerade berührt und bewegt,
    was Ihnen aktuell oder grundsätzlich wichtig ist.
    Der Text, wer die Kinder wann abholt, wer einkauft usw. sollte einen anderen Platz bekommen.
    Bei John Gottman heißt es: “Bringen Sie Ihre Partner-Landkarte auf den neuesten Stand”.
  • Anerkennen der doppelten Wirklichkeit in unserer einen Beziehung
    Immer wieder ist bei Paaren zu beobachten, dass vergessen wird, dass zwei Menschen 2 Köpfe haben, auch wenn sie 1 Paar sind.
    Einen Menschen gut zu kennen, bedeutet nicht, dass man weiß, was sie/er denkt oder will.
    Um herauszufinden, wie es im anderen auf der anderen Seite aussieht oder was das Gegenüber aus seiner Perspektive anderes wahrnimmt, gilt es einerseits zu fragen, andererseits zuzuhören.
  •  Wirkliche Gleichberechtigung
    Gleichberechtigung und Augenhöhe setzen zunächst einmal ein Getrennsein und Eigenständigkeit voraus. Denn ohne dass kann man sich nicht aufeinander beziehen, in Beziehung sein.
    Gleichberechtigung, wie auch Gleichwertigkeit, bezieht sich auf Themen wie “Geben und Nehmen”, auf “Nähe und Distanz”, auf “Ich – Du – Wir”, die je eigenen Raum und Zeit brauchen. Es können auch weitere Aspekte hinzukommen, an die ich im Augenblick nicht denke.
    Manche Paar führen genau Buch und bilanzieren akribisch, andere schmeißen alles in einen Topf und halten die unterschiedlichsten Beiträge für ausgleichsfähig.

Entwicklungstrias

  •  Immer wieder Balance finden im Urkonflikt:  Selbstzuwendung – Partnerzuwendung
    Menschen entwickeln sich unterschiedlich. Das betrifft sowohl die Richtung als auch die Geschwindigkeit.
    In einer Beziehung braucht es Eigenes und Gemeinsames, sonst stirbt sie vor sich hin.
    Immer wieder braucht es da Abstimmungen oder vertrauensbildende Ansagen, damit die/der andere informiert ist, sich mitgenommen fühlt – auch wenn die Partnerin oder der Partner gerade allein unterwegs ist.
  •  Anerkennen des unbewussten Zusammenspiels: wir sind ein System, wie kommunizierende Röhren
    Unser Tun hat Bedeutung. Wir können nicht umhin, zu bewerten und einzuordnen, um uns zu orientieren, um zu wissen wo wir stehen und wie wir zu etwas stehen. Dabei spielen sowohl bewusstes Tun und Wollen, wie auch Aspekte, die wir nicht wissen, die als früheren Erfahrungen mit in unsere Entscheidungen einfließen, ein Rolle.
    Hilfreich im Kontakt miteinander ist es, dies erst einmal anzuerkennen. Denn dann lassen sich Missverständnisse, unterschiedliche Bedürfnisse, Werthaltungen oder Ziele und Übertragungen besser erkennen. Vor allem lässt sich besser sehen, wie man als Paar – auch unbewusst – zusammenspielt und in seinen Wechselwirkungen unter anderem bekannte Szenen aus seinem Leben re-inszeniert (wiederholt) … um sie zu einem besseren Ende zu führen oder um “Normalität” herzustellen, die weniger Angst macht, als Neues, Unbekanntes.
  •  Konfliktfähigkeit: Konflikte erstellen* und lösen*
    * Konflikt erstellen meint, die Pole des Spannungsfeldes zu beschreiben und die zugrunde liegenden Wünsche / Bedürfnisse (durch die verschleiernden Schichten hindurch) herausarbeiten.
    * Konflikt lösen meint, ein „Win-Win-Ergebnis“ finden.

Quelle: Michael Lukas Moeller: Gelegenheit macht Liebe, Glücksbedingungen in der Partnerschaft, 2001