Uralte Verwandte beeinflussen Gesundheit heute

Mandatory Credit: Photo by De Agostini Picture Library/REX/Shutterstock (5165320a) Mummy of Thutmose IV. Detail. Egyptian civilisation, New Kingdom, Dynasty XVIII. Cairo, Egyptian Museum VARIOUS

Der diesjährige Nobelpreisträger in Medizin Prof. Dr. Svante Pääbo hat überzeugende Nachweise für die menschliche Evolutionsbiologie erbracht. Dem Paläogenetiker Pääbo vom Max-Plank-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzip gelang mit Hilfe der Molekulargenetik nicht nur die Aufklärung evolutionärer Verwandschaftsverhältnisse; er konnte damit zudem zeigen, dass dieses jahrtausende alte Erbe bis in die Neuzeit fortwirkt. Archaische Gensequenzen von längst ausgestorbenen Hominiden, wie den Neandertalern z.B., beeinflussen noch heute physiologische Prozesse und sind für heutige Erkrankungen von Bedeutung. Sie entscheiden z.B. mit, wie unser Immunsystem auf den COVID-19-Virus reagiert.

Nur ein Vierteljahrhundert liegt zwischen dem ersten Entdeckungshöhepunkt, Mumien-DNA sequenzieren zu können, und der Analyse von ausgestorbenen Hominiden und anderer Vorfahren. Problematik: deren Gensequenzen sind über die Zeit einerseits in kleine chemische Sequenzen zerfallen und andererseits mit Genfragmenten anderer Herkunft (z.B. Bakterien oder von heutigen menschlichen Zeitgenossen) kontaminiert und mussten isoliert aufgeschlüsselt werden. Diese Methodenverfeinerung nahm Jahre in Anspruch.
2010 markiert das Jahr der größten Durchbrüche. Seinerzeit gelang es zum einen, die längste Genomsequenz von Neandertalern zu veröffentlichen. Pääbo schätzte damals vorsichtig, es handele sich um 60 % des Neandertaler-Genoms. Ins gleichen Jahr fiel die Veröffentlichung über die Funde in der Denisova-Höhle in Sibirien. Dort wurde die gut erhaltene DNA aus Fingerknochen einer bisher unbekannten Hominiden-Familie entdeckt und damit zugleich überkommene evolutionäre Vorstellungen korrigiert: Während ein Teil der Experten die These favorisierte, der moderne Mensch habe sich von Afrika aus überall hin ausgebreitet, ging der andere davon aus, es habe unabhängig voneinander regional verschiedene Entwicklungsorte gegeben. Beides stimmt nicht, wie Pääbo darlegen konnte.

Der größte Genpool des modernen Menschen kommt tatsächlich aus Afrika, aber 1-3 % des Genoms aller Meschen au0erhalb der Subsahara stellen ein Neandertal-Erbe dar. Zusätzlich stammen 5 % des Genoms von der Denisova-Hominiden-Gruppe ab. Die Neandertaler speisten außerdem Genmaterial in die Denisova-Bevölkerung ein, die ihrerseits Input von einer noch unbekannten Hominiden-Familie erhielten, die sich vor mindestens 1 Million Jahre von der menschlichen Genlinie abspaltete. Zusammengefasst: „Fast alle sind mit allen verwandt.“
Im Abgleich von modernen Menschen verschiedener Kontinente lässt sich erkennen, dass sich die DNA-Sequenzen von Neandertalern und denen der heutigen Bevölkerung Europas und Asiens ähnlicher sind als derjenigen des afrikanischen Kontinents. Während der Homo sapiens zuerst von 300.000 Jahren in Afrika auftaucht, haben Neandertaler vor rund 400.000 Jahren vornehmlich Europa und den westlichen Teil Asiens besiedelt. Bis von 30.000 Jahren haben sie mit den modernen Menschen koexistiert, die vor rund 70.000 Jahren im mittleren Osten und danach in Europa auftauchten. Der Sex mit Neandertalern war dabei ziemlich einseitig, wie Pääbo aus Mitochondrien-DNA, die ausschließlich von Müttern vererbt wird, nachweisen konnte. Das Fehlen von m-DNA aus Neandertal-Herkunft lässt schlussfolgern, dass nur Neandertaler-Männer ihre Gene in den modernen Genpool einschleusten, sich also mit Frauen des Homo sapiens paarten.

Ein wesentlicher Treiber für den Einschluss von Neandertaler-Genen stellen RNA-Viren dar. Denn die Neandertal-Spuren im Genom des heutigen Menschen sind bevorzugt Segmente, die Proteine kodieren, die mit diesen Viren interagieren; z.B mit HIV- und Influenza-A-Viren besonders starke Reaktionen zeigen. Dabei ergeben sich einerseits stärkere Bedrohungen durch diese Viren, andererseits aber auch neue Gene, um der neuen Infektionen Herr zu werden.
Auch für COVID-19 konnten Pääbo und sein Kollege Zeberg zeigen, dass Wechselwirkungen vom Neandertaler-Erbe von vor 10 – 20.000 Jahren das Risiko schwerer Erkrankungen an COVID um 22 % verringern, aber eben auch, dass andere Gen-Cluster die Gefahr von Atemwegsversagen nach SARS-CoV-2-Infektion erhöhen. Auch für Pockenviren und den Erregern der Pest, die vor 7 – 10.000 Jahren auftraten, dürften solche Genvarianten eine Schutzwirkung entfaltet haben.

Quelle: Dr. med. Martina Lenzen-Schulte
Dt. Ärzteblatt, Jg. 119, Heft 41, 14.10.2022, S. A1752-1754

Eine kurze Geschichte der Religion – Teil 2

Gehen wir noch einmal einen Schritt in der Entwicklung zurück.


Kreationisten (latein. creatio „Schöpfung“) vertreten zwar die religiöse Auffassung, dass das Universum, das Leben und der Mensch buchstäblich so entstanden sind, wie es in den Heiligen Schriften der abrahamitischen Religionen und insbesondere in der alttestamentlichen Genesis geschildert wird.
In seiner strengsten Form wird ein Erdalter von einigen Tausend Jahren postuliert und es wird von einer Sintflut ausgegangen, bei der die meisten Menschen und Tiere umgekommen sein sollen.
Die Evolution, für die es eine lange Beweiskette gibt, wird abgelehnt.

Die Evolutionstheorie beschrieb anfangs die Entstehung und Veränderung der biologischen Einheiten, speziell der Arten, als Ergebnis eines organismischen Entwicklungsprozesses im Laufe der Erdgeschichte, der andauert. Inzwischen gehen die Erkenntnisse von der physikalischen über die chemischen, über die biologische der Arten bis zur kulturellen Evolution.
Ihre drei Hauptfaktoren sind Vererbung, Variation und Selektion.
Sobald es einen Kopieralgorithmus, einen Replikator, gibt, der unvollkommene Kopien seiner selbst macht, von denen nur einige überleben, dann muss es zu einer Evolution kommen. Denn beim Vorhandensein dieser drei Faktoren müssen alle Merkmale, die das Überleben in dieser Umwelt fördern, tendenziell zunehmen.
Solche Algorithmen sind sogar „substratneutral“, d.h. sie funktionieren mit einer beliebigen Palette unterschiedlicher Materialien (z.B. auch mit Sprache, wo wir ähnliche Phänomene, wie in der Biologie beobachten können).

Zu Beginn der Evolution waren es vor allem Moleküle, die Gene, die sich als effektive Speichermedien für die Reproduktion (Vervielfältigung, Kopieranweisung) von Proteinen und anderen Bausteinen des Lebens durchgesetzt haben. Diese Information wurde langsam, gleichsam vertikal, von Generation zu Generation weitergegeben und variiert, so dass sich im Verlauf langer Zeiträume unterschiedliche Arten entwickelten und ausstarben.

Nachdem Menschen gelernt hatten, Gegenstände herzustellen oder Laute zu formen und zu imitieren, „erbten“ die Kinder das Wissen der Eltern, ihre Religion, den Hof oder das handwerkliche Können.
Mit der Entwicklung von Sprache entstand dann ein entscheidender Umschlag in den Möglichkeiten, Wissen weiter zugegeben.
Mit der Sprache entstand ein weiterer Replikator (Wiederholer, Vervielfältiger), mit dem Informationen nun nicht mehr nur vertikal weitergegeben werden konnte, sondern nun auch horizontal – innerhalb einer Generation und von wenigen an viele.
Mit Sprache ließen sich nun nicht nur Produkte kopieren, sondern auch Produktions- und Bedienungsanleitungen herstellen; es ließ sich aber auch völlig Neues kreieren, das über die Natur hinausging.

Immer mehr Geschichten (Narrative, Meme), Anleitungen und Tratsch entstanden, führte zu einem enormen Wachstumsschub des Gehirns und weiteren damit zusammenhängenden Veränderungen der menschlichen Körper.
Allmählich entwickelte sich das Wissen der Menschheit aufeinander aufbauend.
Häufig gehörte und wieder erzählte Geschichten unterlagen nun auch einem Selektionsdruck, in dem um die Verbreitung von Ideen gerungen wurde.
Dabei wirkten „Gewinner-Geschichten“ wahrer als andere – ganz unabhängig davon, ob sie wahr waren oder nicht.
Das Weitergegebene musste entweder alltagstauglich funktionieren, begeistern, emotionalisieren oder von genügend Leuten weitergetragen werden.

Mit der Schrift nun erhöhte sich die Kopiertreue, die Haltbarkeit von Informationen und, spätestens seit es gedruckte Bücher gab, erhöhte sich auch deren Verbreitungsgrad, der sich mit dem Aufkommen des Internets vor kurzem noch einmal vervielfältigte und beschleunigte.

Ein großer Verbreitungsgrad aber oder eine lange Tradition führen psychologsich zwar zu dem Eindruck von Konsistenz (latein. consistentia = Folgerichtigkeit, Geschlossenheit, logische Widerspruchsfreiheit).
Das machte Geschichten real allerdings nicht wahrer.

Zu den Geschichten des Katholizismus z.B. gehört ein allmächtiger und allwissender Gott, der Glaube an Jesus Christus als Gottes Sohn, geboren von der Jungfrau Maria, der nach seiner Kreuzigung von den Toten auferstanden und nun (in alle Ewigkeit) imstande ist, unsere Gebete zu erhören.
Darüber hinaus glauben Katholiken, dass ihre Priester ihnen in der Beichte Sünden vergeben können, dass der Papst im buchstäblichen Sinne das Wort Gottes verkündet und dass sich Brot und Wein während der Messe in das Fleisch und Blut Christi verwandeln.

Jedem, der nicht von diesen christlichen Überzeugungen infiziert ist, müssten solche Vorstellungen bizarr erscheinen: z.B.
Wie kann ein unsichtbarer Gott allmächtig wie auch allwissend sein?
Warum sollten wir eine 2000 Jahre alte Geschichte glauben, der zufolge eine Jungfrau ein Kind geboren hat?
Was kann es nur bedeuten, wenn man sagt, dass sich Wein in das Blut Christi verwandelt?
Wie kann jemand für unsere Sünden gestorben sein, wenn wir damals noch nicht einmal geboren waren?
Wie kann er von den Toten auferstehen, und wo ist er jetzt?
Wie kann ein Gebet, das man im stillen Kämmerlein spricht, etwas zu bewirken?
Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Befunden, die die Wirksamkeit von derartigen Gebeten und die positive Wirkung von Glauben bzw. Gemeinschaft belegen, doch kaum Experimente, die die korrelativen Zusammenhänge in eine kausalen Zusammenhang stellen könnten.
Daher dürften für derartige Befunde hochwahrscheinlich Erwartungshaltung, Placeboeffekte und soziale Phänomene als Erklärung passen.


Literatur:
Ludwig Knoll, Kultur/Geschichte der Erotik, 1982, Band VIII