Jesus hätte auch ein Mädchen, oder oder werden können – Teil 2

Die psychosozialen Faktoren im Frau Divers Mann – Werdeprozess

Weltweit finden sich in verschiedenen Zeitaltern und etlichen Kulturen Alternativen zur paarweisen Geschlechter-ordnung. Geschlechtliche Identität, wie auch Sexualität, können flexibel konstruiert sein.
Überliefe­rungen aus Babylonien verdeutlichen: Schon vor 4.000 Jahren wurde Menschen ein drittes Geschlecht zugestanden. Bei einigen nordamerikanischen Stämmen gab es bis zu sechs Geschlechter – biologische und soziale. Durch den Einfluss der christlichen Kolonialmächte verschwand diese Vielfalt.
Seit Dezember 2018 gibt es in Deutschland neben „weiblich“ und „männlich“ die dritte rechtliche Option “divers” (verschieden), die sich auf biologische Intergeschlechtlichkeit bezieht. Sofort änderten 2019 laut Redaktionsnetzwerk Deutschland knapp 1600 Menschen ihren Geschlechtseintrag auf Divers, viel mehr noch wechselten von männlich auf weiblich und umgekehrt. Auch in der Allgemeinbevölkerung rücken diese biologischen und psychologischen Fakten mit der Gender-Diskussion allmählich wieder mehr ins Bewusstsein.
Aufklärung, also Wissen ist da besonders wichtig, um Vorurteilen und schädlichen Phantasien entgegenzutreten.

https://www.uni-due.de/2020-12-16-warum-nur-drei-geschlechter

Bei der Geschlechtsidentität unterscheiden wir die sich entwickelnde
– Kern-Geschlechtsidentität, die festlegt, ob ein Mensch sich als weiblich oder männlich betrachtet.
Es wird davon ausgegangen, dass sie sich spätestens bis zum 2. Lebensjahr herausgebildet hat. 
die Geschlechtsrollenidentität, die sich aus den besonderen psychischen Einstellungen und zwischenmenschlichen Verhaltensweisen – allgemein wie auch spezifisch sexuellen sozialen Interaktionsmustern und Wechselwirkungen – ergeben, die entweder für Männer oder für Frauen charakteristisch sind und sie daher voneinander unterscheiden.
Hier geht man davon aus, dass die Phase zwischen dem 12. und 18. Lebensmonat für die Entwicklung besonders kritisch ist. 
die dominante Objektwahl bestimmt, ob die Wahl eines Sexualobjekts eine heterosexuelle oder eine homosexuelle ist und ob sie sich auf ein breites Spektrum sexueller Interaktionen mit dem Sexualobjekt richtet oder aber auf einen bestimmten Teil der menschlichen Anatomie oder ein nichtmenschliches oder unbelebtes Objekt (z.B. Fetisch).
die Intensität des sexuellen Verlangens spiegelt sich im Dominieren sexueller Phantasien, im Achten auf sexuelle Reize, im Verlagen nach sexueller Betätigung und in der physiologischen Erregung der Geschlechtsorgane wider.

Die Kern-Geschlechts-Identität

Beim Menschen wird die Kern-Geschlechtsidentität (das Empfinden des Individuums, entweder Mann oder Frau zu sein) nicht durch biologische Merkmale festgelegt, sondern durch das Geschlecht, das die Pflegepersonen dem Kind während der ersten 2 – 4 Lebensjahre zuweisen.
Selbst wenn Eltern unter normalen Umständen glauben, sie würden mit einem kleinen Jungen genau gleich umgehen wie mit einem kleinen Mädchen, legen sie geschlechtsbezogene Unterschiede im Verhalten gegenüber ihrem Säugling an den Tag.
Zwar gibt es Geschlechtsunterschiede, die auf der vorgeburtlichen Entwicklung beruhen, aber diese Unterschiede legen nicht automatisch fest, wie die Ausdifferenzierung des männlichen oder weiblichen Verhaltens nach der Geburt verläuft: Eine zur Feminisierung führende hormonelle Pathologie bei Jungen und eine zur Maskulinisierung führende hormonelle Pathologie bei Mädchen hat, außer bei extremen Ausprägungen hormoneller Abnormität, auf die Geschlechtsrollenidentität stärkeren Einfluss als auf die Kern-Geschlechtsidentität.
Bei Mädchen kann z.B. ein vorgeburtlicher Überschuss an Androgenen (männlichen Geschlechtshormonen) der Grund dafür sein, dass sie später jungenhaft wild (tomboys) sind und beim Spielen und bei aggressivem Verhalten mehr Energie umsetzen.
Bei Jungen kann eine unzureichende vorgeburtliche Androgenstimulation zu einer gewissen Passivität und einer schwach ausgeprägten Aggressivität führen, wirkt sich aber nicht auf die Kern-Geschlechtsidentität aus. Außerdem erwerben hermaphroditische Kinder (“Zwitter“), die eindeutig als Mädchen oder Jungen erzogen wurden, eine dementsprechende gefestigte Identität als Junge oder Mädchen, unabhängig von ihrer genetischen Ausstattung, von ihrem Hormonhaushalt oder sogar – in gewissem Maße – von dem äußeren Erscheinungsbild ihrer geschlechtlichen Entwicklung.
Selbst eine früh einsetzende (krankhafte) Pathologie der Kind-Eltern-Interaktion und -Beziehung wirkt sich nicht auf die Konsolidierung (Verfestigung) der Kern-Geschlechtsidentität aus. Es wurde nicht einmal ein Zusammenhang zwischen Transsexualismus (d.h. Bildung einer der biologischen Geschlechtsidentität entgegengesetzte Kern-Geschlechtsidentität bei den Personen mit klar definiertem biologischen Geschlecht – und genetischen, hormonellen oder genitalen körperlichen Normabweichungen) festgestellt.
Psychoanalytische Untersuchungen von Kindern mit abnormer, also von der erwarteten Norm oder dem Üblichen abweichenden sexueller Identität wie auch der Lebensgeschichte von transsexuellen Erwachsenen gibt Auskunft über die wesentlichen Grundmuster.

Eines davon ist, dass männliche Transsexuelle (die biologisch gesehen Männer sind, sich aber von ihrer Kerngeschlechtsidentität her als Frau erleben) typischerweise eine Mutter mit stark bisexuellen Persönlichkeitsanteilen haben, die Distanz zu ihrem passiven oder nicht verfügbaren Mann hält und ihren Sohn geradezu verschlingt, um au symbolischem (sinnbildlichem, figürlichem) Wege für sich selbst eine Vervollständigung herzustellen. Die paradiesische Symbiose schließt indirekt die Männlichkeit des Jungen aus und bringt ihn dazu, sich in übertriebener Weise mit der Mutter zu identifizieren, sich also mit ihr gleichzusetzen und sich in ihrem Verhalten wiederzuerkennen. Damit einhergehend wird die männliche Rolle abgelehnt, die für die Mutter nicht akzeptabel wäre und die der Vater unzureichend verkörpert.
Bei weiblichen Transsexuellen führen das abweisende Verhalten der Mutter und die Unerreichbarkeit des Vaters dazu, dass die Tochter, die sich in ihrer Rolle als kleines Mädchen nicht bestätigt fühlt, zu einem Ersatz-Jungen wird. Zugleich hilft sie damit unbewusst, die Einsamkeit und Depression der Mutter zu lindern. Das maskuline Verhalten wird von der Mutter unterstützt, deren Niedergeschlagenheit daraufhin abklingt; zugleich verstärkt das Verhalten des Kindes das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Familie.

Dass das Verhalten der Eltern gegenüber dem kleinen Kind (insbesondere die Mutter-Kind-Interaktion) Einfluss darauf hat, wie sich seine Kern-Geschlechtsidentität und seine sexuellen Funktionen insgesamt entwickeln, lässt sich nicht nur bei Menschen beobachten. Auch bei anderen Primaten lässt sich beobachten, dass eine angemessene Bindung zwischen Säugling und Mutter durch eine Geborgenheit bietende, engen Körperkontakt eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass sich beim erwachsenen Affen normale sexuelle Reaktionen entwickeln können.

Nach bisherigen Forschungsergebnissen können wir davon ausgehen, dass es frühzeitig eine Geschlechtsidentität gibt, die in der Regel entweder männlich oder weiblich ist; wobei davon auszugehen ist, dass schon die bewussten und unbewussten sexuellen Orientierungen der Eltern und ihre Erwartungen an ihr Kind dabei eine Rolle spielen. Zugleich ist bei beiden Geschlechtern eine psychische Bisexualität vorhanden, die sich aus der unbewussten Identifizierung mit beiden Eltern (so sein wollen wie sie) ableitet. Damit gehört bewusst oder unbewusst eine bisexuelle Orientierung zu den universellen menschlichen Möglichkeiten.

Für eine Kern-Geschlechtsidentifikation spielt es keine Rolle, “ob der Vater das Essen kocht und die Mutter den Trecker fährt”. Diese Geschlechtsrollen sind sozial definiert. Die eigene Kern-Ich-Identität entwickelt sich klar, solange die Geschlechtsidentitäten der Eltern deutlich voneinander unterschieden sind. Verstärkt werden Zuweisung und Übernahme einer Kern-Geschlechtsidentität in der Praxis, indem die auch die Geschlechtsrollen, die als männlich oder weiblich angesehenen werden, vom Umfeld bekräftigt werden.

Die Geschlechts-Rollen-Identität

Die Geschlechtsrollenindentität (die Identifizierung des Individuums mit bestimmten Verhaltensweisen, die in einer Gesellschaft als typisch für Männer oder Frauen gelten) ist stark von psychosozialen (zwischenmenschlichen) Faktoren beeinflusst.
(Psychosozial wird hier das auf das Erleben und Verhalten einer Person bezogen, insoweit es ihre Interaktion (=Wechselbeziehung) mit anderen Personen / Personengruppen oder/und Handlungen betrifft.)
Selbst die spätere Wahl des Sexualobjekts, das Ziel des sexuellen Verlangens, wird in starkem Maße von frühen psychosozialen Erfahrungen abhängig.

Sexualobjket, Foto: https://www.matthiaszehnder.ch/wochenkommentar/darf-man-das/

Alle Vorstellungen und Erwartungen an weibliche oder männliche Verhaltensmuster sind, neben den biologischen Voraussetzungen, von kulturellen, zeitgeschichtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen bestimmt. Allerdings sind dabei manche Überzeugungen zur Geschlechtsunterschieden schlicht haltlos, manche sind wissenschaftlich recht gut abgesichert und manche harren noch der Klärung bzw. fallen in den Beobachtungen mehrdeutig aus.

Unhaltbar sind Überzeugungen wie “Mädchen sing geselliger und leichter zu beeinflussen als Jungen”, “Mädchen hätten eine geringes Selbstachtung, seien weniger leistungsmotiviert und besser im Auswendiglernen und bei monotonen Aufgaben” oder “Jungen seien besser bei anspruchsvolleren Aufgaben oder würden analytischer vorgehen” oder “Mädchen stünden mehr unter dem Einfluss von Erbanlagen, Jungen dagegen unter dem Einfluss der Umwelt”, “Mädchen seien eher auditiv (auf das Gehör bezogen), Jungen eher visuell (auf optische Wahrnehmung) orientiert”.
Zu den erwiesenen Geschlechtsunterschieden zählen derzeit, dass Mädchen größere verbale Fähigkeiten haben; Jungen häufiger bessere Ergebnisse bei visuell-räumlichen und mathematischen Aufgaben zeigen und dass sie aggressiver sind.
Noch nicht abgesichert sind Unterschiede in Bezug auf taktile Sensibilität, Schüchternheit und Ängstlichkeit, Aktivitätsniveau, Konkurrenzstreben, Dominanzstreben, Folgsamkeit, Fürsorglichkeit und “mütterliches” Verhalten.

Kultur- und artenübergreifend lässt sich sagen, dass männliche Individuen aggressiver sind und dass das Aggressionsniveau mit Sexualhormonen zusammenhängt.
Bei Mädchen die vorgeburtlich einem Androgenüberschuß (männliches Sexualhormon) ausgesetzt waren, fand sich ein mäßig ausgeprägter Zusammenhang zwischen diesem und der erhöhten Häufigkeit einer späteren homosexuellen Orientierung, doch bedeutsamer war, dass sich solche Mädchen im Vergleich zu Kontrollgruppen jungenhaft wild verhielten, weniger Interesse am Spiel mit Puppen zeigten und weniger Interesse daran zeigten, sich mit Säuglingen abzugeben, dafür aber Spielzeuge wie Autos oder Schußwaffen bevorzugten und lieber mit Jungen spielten.

Solche Ergebnisse legen nahe, dass das Geschlechtsrollenverhalten in der Kindheit von vorgeburtlichen (pränatalen) hormonellen Wirkgrößen beeinflusst wird; andere Befunde deuten darauf hin, dass die meisten Merkmale, in denen sich Jungen und Mädchen unterscheiden, aller Wahrscheinlichkeit nach kulturell bestimmt (determiniert, festgelegt) sind.

Schaut man sich z.B. das Erziehungsverhalten an, das zur Entwicklung von femininem Verhalten bei Jungen führt, sind Wirkfaktoren: Eltern, die gegenüber femininem Verhalten des Sohnes gleichgültig sind oder ihn dazu ermutigen; überbehütende Mutter, abwesender oder sich abweisend verhaltender Vater; kaum Jungen als Spielkameraden.
In Nachuntersuchungen einer Stichprobe solch femininer Jungen fand sich später ein hoher Prozentsatz an Bisexualität und Homosexualität. Allgemein lässt sich sagen, dass Verhaltensmuster, die eigentlich für das andere Geschlecht charakteristisch sind, verbinden sich oft, aber nicht notwendigerweise mit einer homosexuellen Objekt = Partnerwahl.

Die dominierenede Objekt(Partner)wahl

Die bevorzugten Idealbilder attraktiver, erregender Partner/innen leiten sich vermutlich aus Schemata (Mustern) ab, die nicht genetisch, sondern im Entwicklungsprozess im Gehirn angelegt sind und vor dem 9. Lebensjahr durch Umwelteinflüsse vervollständigt werden.

Noch immer scheint es in der westlichen Kultur weit verbreitete Widerstände zu geben, die Existenz einer kindlichen Sexualität zur Kenntnis zu nehmen. Kulturantropologisch (völkerkundlich) konnte gezeigt werden, dass Kinder, wenn derartige Tabus fehlen, spontan sexuelles Verhalten zeigen. Aber auch hierzulande lässt sich in Kindertagesstätten finden, dass Jungen etwa mit 6 – 7 Monaten und Mädchen mit 10 – 11 Monaten an ihren Genitalien herumzuspielen beginnen und dass das Masturbieren sich bei beiden Geschlechtern mach 15 – 16 Monaten durchgesetzt hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder aus der Arbeiterklasse sich selbst befriedigen, ist doppelt so hoch wie bei Mittel-schichtkindern – was darauf hindeutet, dass Klassenstruktur und Milieu das Sexualverhalten beeinflussen.

Schon Säuglinge und Kleinkinder, wenn sie ihre Kern-Geschlechtsidentität und ihre Geschlechtsrollenidentität aufbauen, orientieren und identifizieren sich unbewusst nicht nur mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, sondern auch mit dem sexuellen Interesse dieses Elternteils am Partner.
Klinische Eindrücke belegen oft eindrucksvoll das wechselseitig verführerische Verhalten von Kind und Eltern.

Erinnerungsspuren, die sich unter besonderen Affektbedingungen bilden (wenn etwas emotional sehr berührt, intensiv erlebt wird), erhalten Kern-Schemata (Grundmuster) einer Interaktion (Welschelwirkung, Miteinander, Kooperation) zwischen der Selbstrepräsentanz (dem Selbstbild) des Kindes und der Objektrepräsentanz der Mutter (dem inneren Bild von der Mutter) unter dem Vorzeichen eines entweder lustvollen oder unangenehmen Affekts. Infolgedessen bauen sich zwei parallele, anfangs voneinander getrennte Stränge von Selbst- und Objektrepäsentanz auf,
Diese anfänglichen Vorstellungen von der guten bzw. der bösen Mutter (die zunächst wie zwei verschiedene Personen aufgespalten erlebt und noch nicht integriert sind) sind ebenso wie die Wahrnehmung eines lustvoll, guten oder schmerzhaft, böse Selbsterlebens, mit positiven und negativen Affektdispositionen (Veranlagung mit einem bestimmten Gefühl zu reagieren) gekoppelt.
Dies anfangs “nur-guten” oder “nur-bösen” Repräsentanzen (verinnerlichte Vorstellungen) vom Selbst und vom Anderen (Objekt) wird schließlich im Verlauf der Entwicklung zu einem Ganzen integrieret, so dass die bedeutenden Bezugspersonen und dann auch andere, wie ebenso man selbst, als sowohl-als-auch gut und böse erkannt und ausgehalten werden können. Die eigene Identität entwickelt sich also nicht nur aus der Identifikation mit einem bedeutsamen Objekt selbst, sondern wird vor allem aus der Identifizierung mit einer Beziehung zu dem Objekt aufgebaut. So identifizieren wir uns sowohl mit unserem Selbst wie auch mit dem Objekt unseres Begehrens.

Da sich z.B. der Junge als ein von seiner Mutter geliebter Junge erfährt, identifiziert er sich mit der Rolle des männlichen Jungen wie mit der Rolle der weiblichen Mutter. So erwirbt er die Fähigkeit, die Position seiner Selbstrepräsentanz (seiner Vorstellung von sich selbst) einzunehmen und zugleich die Repräsentanz der Mutter (das Bild der Mutter und ihrer Reaktion auf ihren Jungen) auf eine andere Frau zu projizieren (eigene Gefühle oder Vorstellungen anderen Personen zuschreiben); oder er lernt – unter bestimmten Bedingungen – in die Rolle der Mutter zu schlüpfen, während er seine Selbstreprästentanz auf einen anderen Mann projiziert (ähnlich, wie ein Bild mit einem Projektor auf einer hellen Wand abgebildet werden kann). Liegt das Schwergewicht der Ich-Identität auf der Selbstrepräsentanz als Junge, so ist sichergestellt, dass bei ihm die heterosexuelle Orientierung vorherrscht (und dass er in allen Frauen unbewusst nach der Mutter suchen wird). Überwiegt dagegen die Identifizierung mit der Mutterrepräsentanz, kann die Folge ein bestimmter Typus von Homosexualität beim Mann sein.

Beim Mädchen wird die Kern-Geschlechtsidentität durch die allererste Beziehung gefestigt, da sie sich in der Interaktion sowohl mit der eigenen wie auch mit der Rolle der Mutter identifizieren. Andererseits wird auch die unbewusste Identifizierung mit dem Vater durch den späteren Wunsch, den Vater als Liebesobjekt der Mutter zu ersetzen (dies in aller kindlichen Unschuld und Unwissenheit – aber in der Vorstellung, den Vater später zu heiraten und besser, allumfassender zu versorgen, als dies die Mutter tut). Diese innere Vorstellungsfigur wird durch das positive Wählen des Vaters (etwa im 4 – 5. Lebensjahr) in der ödipalen Beziehung stabilisiert.
Auch das Mädchen geht also eine unbewusste bisexuelle Identifizierung (Gleichsetzung) ein.
Da die Identifizierung sich nicht so sehr auf einen Menschen als vielmehr auf eine Beziehung richtet und im Unbewussten somit wechselseitig aufeinander bezogene Rollendispositionen aufgebaut werden, kann an davon ausgehen, dass die Bisexualität psychisch begründet ist.
Sie tritt in der Fähigkeit zutage, die Kern-Geschlechtsidentität zu erwerben und gleichzeitig sexuelles Interesse an einem anderen Menschen des anderen oder des eigenen Geschlechts zu entwickeln.

Intensität des sexuellen Verlangens

Bei diesem Thema sind die wissenschaftlichen Ergebnisse zu den biologischen Mechanismen relativ klar, von der sexuellen Appetenz (Verlangen nach sexueller Aktivität, sexuellen Phantasien, Tagträumen; Gefühl, sexuell zu jemandem anderen hingezogen zu sein) über das sexuelle Arousal (Erregung) bis zu Geschlechtsverkehr und Orgasmus; Orgasmus, der kann, aber nicht muss.
Ungewissheit herrscht dagegen nach wie vor über die Reize, die eine sexuelle Reaktion auslösen, und über die subjektive Qualität des Erregungserlebens. Bei Männern und Frauen sind zwar die physiologischen (körperlichen) Begleiterscheinungen bekannt, während über die psychologischen (seelischen) Ähnlichkeiten und Unterschiede weiterhin Uneinigkeit bei den WissenschaftlerInen besteht.
Dennoch kann man zusammenfassend feststellen, dass bei Menschen ein ausreichender Hormonspiegel zirkulierender männlicher Hormone eine Voraussetzung für die Fähigkeit zur sexuellen Reaktion zu sein scheint und somit das sexuelle Verlangen bei Männern wie bei Frauen beeinflusst. Bei normalen und erhöhten Hormonspiegeln aber sind sexuelles Verlangen und Verhalten erstaunlich unabhängig von hormonellen Schwankungen.
Beim Menschen ist der Faktor, von dem die Intensität des sexuellen Verlangens in erster Linie abhängt, kognitiver (verstandesmäßiger) Natur, und besteht im bewussten Wahrnehmen des sexuellen Interesses, das sich in sexuellen Phantasien, Erinnerungen, in einer erhöhten Aufmerksamkeit für sexuelle Reize niederschlägt und eine gesteigerte Aufmerksamkeit für verstärkende Reize umfasst, die für die eigene sexuelle Orientierung und das passende Sexualobjekt relativ spezifisch (passgenau) sind.
Das Erleben selbst ist nicht rein “kognitiv“, sondern enthält ein starkes affektives Element, so dass es in erster Linien ein gefühlsmäßig-bewusstes Erleben ist.

Physiologisch gesehen ist das affektive Gedächtnis an das limbische System gebunden, das das neuronale (nervliche) Substrat (Fundament) der Sexualität wie auch anderer Appetenzfunktionen (Lust haben auf) ist.
Untersuchungen an Tieren haben gezeigt, dass bestimmte limbische Regionen Erektion und Ejakulation steuern, dass es da sowohl anregende als auch hemmende Mechanismen gibt, die auf die sichtbare Erektionsreaktion einwirken.
Unter dem Einfluss eines emotionalen, sich bewusst sich sexuelles ausrichtenden Zustandes, mobilisiert das limbische System Kontrollzentren, die ein Anschwellen, Feuchtwerden und eine lokal erhöhte Empfindlichkeit der Geschlechts-organe bewirken – deren Gewahrwerden wiederum wird als verstärkendes Feedback (Signal) an das Gehirn geschickt. Es entsteht ein sich selbst verstärkender positiver Engelskreislauf; deren negative Variante Teufelskreislauf genannt wird. Aber all das sind beim Menschen lediglich “Bausteine” des Sexualtriebes, der Libido als ein übergreifendes Motivationssystem. Damit stellt es den Grundaffekt des komplexeren physiologischen Phänomens: des erotischen Begehrens, die in einer emotionalen Beziehung an ein spezifisches Objekt (einen besonderen Menschen, manchmal jedoch auch an besondere Dinge) gebunden ist.

Foto: Lindemann; u.a.
Quelle: Otto F. Kernberg, Liebesbeziehungen – Normalität und Pathologie, Klett-Cotta, 2014 – Übersetzung Christoph Trunk

Otto F. Kernberg ist Direktor des Personality Disorder Institute am New York-Presbyterian Hospital, Westchester Division und Professor für Psychiatrie am Weill Cornell Medical College, New York. Er war lange Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA) und gilt als einer der bedeutendsten psychoanalytischen Forscher und Theoretiker.


Wie bewahrt man das Feuer in Langzeitbeziehungen?

Gerade in Zeiten des Lockdown und social distancing, wenn die Menschen in hohem Maße auf sich selbst zurückgeworfen sind, werden bei Paaren und in Familien Spannungen sichtbar.
Der Stress, ausgelöst durch die unberechenbare Bedrohung eines unsichtbaren Virus, das Gefühl von Kontrollverlust, die Bevormundung durch staatliche Stellen, die Sorge um liebe Verwandte und die bewusste wie unbewusste Reaktivierung von Kindheitsgefühlen, wie auch der Stress des engen aufeinander Hockens in der Wohnung, das nicht ausweichen können, lässt schnelle eine angespannte oder gar aggressive Stimmung entstehen – mit der konstruktiv oder destruktiv umgegangen werden kann.

Foto: Andreas Bohnenstengel, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=59106427
Foto: Lindemann

Ja, manchmal sind Wegweiser – nicht nur in der “Mutter-Kind-Beziehung”, wie oben im Bild zur Wegführung an der Baustelle an der Sporthalle in Rodheim zu sehen –  sehr hilfreich,
insbesondere in Zeiten, die sich anfühlen wie Baustellen …
und Langzeitbeziehungen sind Dauerbaustellen …
allerdings meist ohne die beruhigenden Hinweisschilder, die einen „an der Hand nehmen“
oder – wie inzwischen auf den Autobahnen zu sehen -: „in 5 km, in 3 km, in 1 km Ende der Baustelle“.

Sollte die Überschrift Ihre Neugier geweckt haben,
stellen Sie sich auch beim Lesen dieses Textes auf eine längere Dauer ein.
Vielleicht aber lohnt es in besonderer Weise, einen Text oder eine fremde Person in vielerlei Facetten kennenzulernen und sich Zeit füreinander zu nehmen; nicht zu schnell aufzugeben, etwas miteinander durchzuarbeiten (wie die Psychoanalytiker gerne sagen).
Immerhin ist es einen Gedanken wert, zu entdecken, wieso man sich mit gerade diesem Partner gerade diese Aufgabe für sein Leben gesucht hat. Gerade im “einander erkennen” steckt viel mehr, als der erste Eindruck herzugeben vermag.

In vielerlei Formen von Beziehungen strebt man nach Dauer und Vertrautheit.
Oftmals haben Paare vor, die Strecke bis zum Ende zusammenzubleiben … und da soll das Ende nicht schon nach 5 km bzw. 5 Jahren erreicht werden.
Allerdings stellen sich weder Lust noch Frust von alleine ein …
realistisch gesehen, sagt die Scheidungsstatistik, dass die meisten Ehen nach 6 Jahren Ehedauer geschieden werden und die durchschnittliche Ehedauer bei 15 Jahren liegt. (Quelle: www.scheidung.de)

Zwar ist – positiv gesehen – Instabilität eine notwendige Bedingung für Bewegung und Entwicklung,
doch zugleich braucht es dabei eine hinreichende Stabilität, um sich auf das Abenteuer von Veränderung einzulassen. Andernfalls kann eine Konstruktion leicht in die Brüche gehen.
Es ist wie beim Treppensteigen: steht das Standbein stabil, lässt sich mit dem Spielbein eine neue Stufe erklimmen. Findet das Spielbein dort festen Halt, kann das Standbein zum Spielbein für eine weitere Entwicklung werden, usw. usw. – mit den eigenen Beinen.
Ähnlich: hat die Beziehung stabile, verlässliche Grenzen, gerät erkundende Spiel nicht so leicht in gefährliche Fahrwasser. Dennoch erscheint, wie es so schön heißt, “das Gras auf der anderen Seite grüner” – zumindest für eine anfängliche Weile.
Gelingt es, dieses Spannungsfeld in eine tragfähige Balance zu bringen, kann sich eine Beziehung dauerhaft entwickeln … auch wenn die Beteiligten nicht immer im gleichen Tempo unterwegs sind.

Nein, eine Paartherapie (als sinnvolle und intelligente Fortbildungsmaßnahme – die Paare sich häufig viel zu spät gönnen) soll nicht immer nur sicherstellen, dass die Leute zusammenbleiben.
Vielmehr geht es darum, dass Menschen verantwortungsvolle Entscheidungen treffen, dass neue Perspektiven ausgeleuchtet werden, die ein andres Verständnis in Zusammenhänge und Wechselwirkungen erlauben, die Wachstum ermöglichen und die, im Fall der Fälle, helfen, mögliche Schäden minimal zu halten.

Früher baute die Institution Ehe sehr lange auf “bis der Tod Euch scheidet”.
Heute währt die Ehe meist so lange, bis die Liebe stirbt.

Als die Leute früher “für immer” sagten, sind sie in ihren Vierzigern, Fünfzigern, Sechzigern gestorben.
Heute erleben viele die achtziger und neunziger Jahrgänge.
Zudem ist die ökonomische Abhängigkeit von Frauen meist nicht mehr gegeben, so dass sie sich nicht mehr mit allem arrangieren müssen. Sie erleben sich nicht mehr als Eigentum ihres Mannes und auch die Frage, woher die Kinder kommen, muss nicht mehr durch Einsperren der Frauen sichergestellt werden.
So werden heute die meisten Scheidungen von Frauen initiiert.

In einer Paartherapie schaut man immer danach, was dies und das bedeutet und wie es miteinander zusammenhängt, wie es in der Beziehung wechselwirkt und wohin das dann möglicherweise führt oder was es – zumindest in der Phantasie – für Auswirkungen hat.
Denn wenn die Beziehung nicht glücklich ist, bleibt die Familie heutzutage vermehrt nicht intakt.
Früher konnte das Paar unglaublich unglücklich sein, konnte es im Zusammenleben gewalttätig, missbräuchlich zugehen – das Paar hätte sich nicht getrennt … schon allein, weil die Familienorganisation das Paar brauchte und die gesellschaftlichen Hürden hoch waren.
Wir hatten ja mal Ehen, in der man viele Kinder brauchte, um das Feld zu bestellen, um die ökonomische Sicherheit für die Familie zu gewährleisten.
Dann hatten wir das Bild der romantischen Ehe, in der man Zugehörigkeit sucht, eine Verbindung. Und weil man Kinder nicht mehr zu Fortbestand und zum Arbeiten brauchte, hatte man nur wenige Kinder – und hatte Sex aus Lust und Leidenschaft.
Heute geht es in der Ehe, in Beziehungen allgemein, um Identität: “ich will, dass mir mein Partner dabei hilft, die beste Version meiner selbst zu werden.” Außerdem hat man sich heutzutage bereits “die Hörner abgestoßen” und verbindet sich etwa 10 Jahre später, als vor 50 Jahren. Man sucht – mitten in einer konsumorientierten Welt – einen Seelenverwandten, jemanden, mit dem man sich versteht, der die gleiche Sprache spricht, der das eigene Weltbild bestätigt. Denn in dieser Zeit sind Paar so isoliert, wie nie zuvor. Zudem gibt es – u.a. zwei Weltkriegen geschuldet – kaum Vorbilder, an denen man authentisches Verhalten und kooperatives Miteinander oder erfolgreiches, glückliches Zusammenleben lernen kann. Zu viele Menschen tragen unbewusst noch an Wunden (auch an denen der Vorgeneration), die sie in Verdrängung zu halten suchen und es gibt inzwischen zu viele “broken homes”, die idealistische Erwartungen sprießen lassen, die ebenfalls nur in die Wiederholung des Scheiterns führen.

Immerhin ist biologisch vorgegeben, dass man ein Verlangen nach jemand anderem entwickelt.
An der Ausgestaltung dieses Verlangens kann man moderne Beziehungen erkennen.
Über all in der Mediengesellschaft wird suggeriert, dass es bestimmt besseres gäbe, als das, was man gerade hat oder wo man gerade ist oder mit wem man gerade ist.
Überall auf der Welt ist es daher ähnlich mit der Untreue.

Allerdings geht man in anderen Teilen der Welt anders damit um, als z.B. in Europa.
Amerikaner z.B. moralisieren Untreue typischerweise. Sie erleben einen Seitensprung als moralischer Verrat an ehernen (religiösen) Werten.
In Europa zählt Untreue als der ultimative Betrug in und an der Beziehung oder Ehe. Denn sie besiegelte die Verbindung mit seinem Seelenverwandten, was – oft unbewusst – mit einem stillen Anspruch auf Alleinbesitz einhergeht und zudem das Gefühl, etwas besonderes zu sein. Durch die/den Dritten wird diese Illusion zerstört. Die Ent-Täuschung ist groß: das “Soll”, die Vorstellung, wurde vom “Ist”, von der Realität, eingeholt und auf die Füße gestellt.

Hatten früher viele Menschen in der Ehe den allerersten Sex und kannten unter dem Postulat der Monogamie auch nichts anderes, hatte man heute vor der Ehe meist schon Sex mit vielen anderen. Monogamie bedeutet heute also etwas anderes als früher: nämlich nach vielen anderen mit nur noch einem Partner zu schlafen.
Den kann man sich heute aussuchen: “Ich suche mir diese Person aus und kümmere mich nicht mehr um die anderen. Ich bin die/der Auserwählte, etwas ganz besonderes.”

Psychologisch gesehen spielen hier also – heutzutage in besonderer Weise – u.a. sehr frühe narzisstische Bedürfnisse nach Bestätigung, Besonderheit und das Erleben einer vermeintlichen Größe eine große Rolle – während man ja als Kleinkind real noch ganz klein ist und lediglich wenig von der Welt kennt. Da lassen sich phantastische Vorstellungen leicht mit der Realität verwechseln.
In einer Partnerschaft werden diese Bedürfnisse und Vorstellungen reaktiviert und “befriedigt”.
Zugleich aber überfordern diese Anforderungen auf Dauer das Gegenüber und rufen Fluchtimpulse oder Aggressionen hervor. Entsprechend tauchen Kinderängste auf, verlassen zu werden und damit lebensbedroht zu sein, die bei einem Erwachsenen irrational erscheinen.
Das erklärt jedoch, warum die Zerstörung dieser Illusion, ein so immenses katastrophisches Erleben hervorruft. In dieser Stresssituation werden ganz archaische Überlebensinstinkte aktiviert, so dass klares, vernunftbetontes Denken kaum möglich ist. Dies zumindest bei fehlendem Abstand und beruhigter Seele, die Perspektivenwechsel und Reflektion zulässt.
Zum anderen werden in einem Dreieck sofort alte Erinnerungen an das Erleben in der triangulären Beziehung mit den Eltern wach gerufen. Oft war da das Kind der ausgeschlossene Dritte; oder schlimmer noch: ein Elternteil wurde ausgegrenzt und Verhältnisse geschaffen, die eine für ein Kind überfordernde, aber Größenphantasien stärkende, die Generationengrenzen verwischende Situation erschufen.
Da hilft häufig ein weiteres Augenpaar, das andere Aspekte erkennen und benennen kann, das nicht parteiisch auf die Situation blickt oder moralische Werte über die Personen stellt, die hilft, das jeweilige Handeln im Kontext zu verstehen.

Es gibt immer einen Grund für unser Handeln – ob nun bewusst oder unbewusst.
Und unser Tun hat immer eine tiefe Bedeutung.
Affären sind Geschichten, One-Night-Stands sind Geschichten, sogar Hit-and-Run-Sex hat eine Bedeutung – in dem Fall die angebliche, dass sie bedeutungslos seien.
Es gibt keine menschliche Interaktion ohne Bedeutung!

Daher geht es in guten Paargesprächen oder in Paartherapien nicht so sehr um die Fakten: “wer hat was wann mit wem wie gemacht”, sondern um die Bedeutungsgebung, die der Handelnde dafür konstruiert.
Der/die Handelnde ist dabei sowohl “die/der Täter” als auch die/das “Opfer” seiner Sicht der Dinge.
Zudem sind es die Wechselwirkungen der Interaktionen und auch Umgebungsfaktoren spielen hier eine bedeutsame Rolle, die es zu bedenken gilt.

Ereignisse sind einfach Ereignisse / Fakten.
Ihre Bedeutung erlangen sie durch die Art unserer Einordnung in ein Bild, das wir selbst zeichnen, …
… indem wir bestimmte Aspekte wahrnehmen und andere nicht; durch die Art, wie wir etwas betonen, bewerten und durch die Worte, mit denen wir beschreiben, was für uns selbst (aber auch für unsere Umgebung) wichtig/bedeutsam ist und/oder auch als sinnvoll verstanden wird.

Um dahinter zu steigen, fragen wir uns:
“Was sagt uns dieses Erleben, Fühlen, Denken, Verhalten, ja auch diese Affäre, über die Person, diese Kultur, diesen Moment in diesem Leben und über den Entwicklungsstand in dieser Beziehung?”

Hier zeigt sich ein großer Vorteil von Langzeitbeziehungen, in denen die Beteiligten sich und die jeweilige eigene Geschichte und die des Partners gut kennen. Da muss dann nicht mehr alles persönlich genommen werden; da können Zuordnungen angeboten und Verwechslungen angesprochen werden, die aufklärend wirken. Solche Erkenntnisse sind zum Teil schmerzhaft, wie sie auch Nähe erzeugen, da man sich als Entlarvter eben peinlich berührt, aber auch gesehen, verstanden und wertgeschätzt fühlen kann.

Eine Beziehung, in der jemand eine Affäre hat, in der jemand geliebt werden möchte, kann kaputt sein – sie kann aber auch gerettet werden.
Interessanterweise ist Einsamkeit einer der häufigsten Antriebskräfte, sich anders zu orientieren.
Einige Seitensprünge, Bordellbesuche, Pornoseitenaufrufe finden ihre Bedeutung in der Unzufriedenheit mit der Beziehung: in Jahren von emotionaler Abweisung, gefühlter Abwertung, in differenten sexuellen Interessen, in Jahren von sexueller Dürre (z.B. wenn die Kinder klein sind), in jahrelangem gegenseitigen Ignorieren, in Jahren fehlender Kommunikation und Verbindung.
Es kann ein Schrei nach Hilfe, nach Beachtung und Weiterentwicklung sein.
Es kann aber auch eine Erkenntnis sein: Ich wusste gar nicht, dass das Leben anders sein kann, dass es einen Menschen gibt, der lieb zu mir ist, dass ich keinen Schmerz beim Sex haben muss, dass ich mich von jemandem begeht fühlen kann, dass es jemanden gibt, der zärtlich ist, großzügig und will, dass ich mich wohlfühle, dass es jemanden gibt, der mich nicht beständig kritisiert oder auch an mir selbst erkenne, dass ich den anderen für blöd hielt, weil er mich liebt, obwohl ich mich selbst für nicht liebenswert erachte.

Oft geht es gar nicht darum, dass Menschen wissen wollen, was auf der anderen Seite ist.
Vielmehr bemerken sie zum ersten Mal: es gibt eine andere Seite.
Aber auch die Frage: “Wie gestalte ich die zweite Hälfte meines Lebens?” lässt grundsätzliche Fragen aufkommen.

Wenn man dann nicht mit dem Partner als auch bestem Freund darüber reden kann und offen seine Ängste, Wünsche und Phantasien auszudrücken vermag, wird das Heil oft andernorts gesucht.

Lange gingen wir davon aus, dass Affären ein Zeichen für gestörte Menschen und gestörte Beziehungen sind … und dass deswegen die Beziehungen enden müssten.
Dabei lässt sich gut erkennen, dass, wenn Menschen über Affären oder diesbezügliche Phantasien reden, reden sie über zwei Personen – das Paar. (siehe z.B. Wir sind immer zwei Seiten einer Geschichte.)
Interessanterweise ist in solchen Gesprächen die dritte Person häufig gar nicht Teil der Geschichte.

Und wenn man sich dann interessiert: “Seid ihr früher schon mal mit dem Thema in Berührung gekommen?“,
entweder, weil ihr Kind eines Elternteils seid, der Affären hatte, oder eines Elternteils, der weggegangen ist, oder weil ihr selbst das Kind seid, das in einer Affäre entstanden ist, oder weil ihr Freund oder Freundin seid, an deren Schulter sich jemand ausgeweint hat, oder, weil ihr selbst diese dritte Person seid?
Dann zeigen sich ganz neue Seiten, von denen man sich im Nachgang vielleicht wie versklavt fühlt, weil man nichts ahnend nachgeäfft hat, was man andernorts nicht verstanden hat.

Denn schätzungsweise 85 % der Menschen sind von dieser Thematik irgendwie betroffen, haben aber nie einen Gedanken daran verschwendet.
Jedoch: was man nicht weiß und sieht, darüber stolpert man eher, als über das, was man ins Bewusstsein geholt und verarbeitet hat.
Das betrifft natürlich auch “die Stadien” einer Ehe / einer Langzeitbeziehung.
Für mich ähnelt die Entwicklung einer Beziehung der eines Einzelmenschen: am Anfang müssen wir ganz nahe sein, brauchen viel Hautkontakt, um uns sicher in der Welt / in der Beziehung zu fühlen, um Urvertrauen aufzubauen. Allmählich gewinnt dann der Pol der Eigenständigkeit wieder mehr Gewicht.
Die Entwicklungen der Einzelnen gehen nach unterschiedlichen Uhren, die im Gespräch und im nahen Miteinander immer wieder synchronisiert werden müssen.

Um also eine Langzeitbeziehung lebendig zu halten,
müssen Geben und Nehmen, Nähe und Distanz, Dominanz und Unterordnung, Kontrolle und Freiheit, Begehren und Vertrauen, Überraschung und Vertrautes, Risiko und Sicherheit immer wieder eine passend austarierte Balance finden.
Es braucht Selbstgewahrsein und authentische Offenheit sowie den Mut, sich zu zeigen und zuzumuten, wie auch die Kraft, das vom Partner gezeigte anzunehmen, zu diskutieren und Kompromisse zu finden, die für beide lebbar sind.
Das braucht oft Zeit, die man einander im Miteinander geben sollte, bis die rechte Lösung gefunden ist. Vorher sollte niemand Vorpreschen und aktiv werden.
Wie gesagt, in Beziehung sind wir immer nur die eine Seite eines größeren Ganzen.

Dabei ist es durchaus wichtig egoistisch zu sein. Denn – so erkläre ich es in meinen Therapien immer -, wenn ich egoistischer Weise dicke Kartoffeln ernten möchte, muss ich meinen Acker bestellen und pflegen. Denn nur wenn es meiner Umgebung gut geht, kann es mir dort auch gut gehen.
Oft wird Egoismus (der immer den ganzen Kreislauf in Blick hat) mit Egozentrik verwechselt. Dabei geht es allein um mich, die anderen sind mir egal. Diese Form der Ausbeutung funktioniert eine Weile, doch bald wird die Ernte geringer ausfallen und die Menschen um mich herum werden mich meiden. Niemand möchte ausgenutzt werden.

Untreue ist massiv egozentrisch.
Etwas nur für mich zu machen; z.B. Untreu sein, kann ein wichtiger Schritt sein, um sich seiner Selbst zu vergewissern, oder um sich aus einer zu engen Beziehung zu lösen.
Das kann sogar für eine Beziehung ganz wichtig sein, denn nur getrennt kann man sich aufeinander beziehen und eine Beziehung führen. Macht man alles zusammen, verschwimmen die Grenzen.
Ein idealer Zustand, den man sonst gelegentlich beim Sex miteinander erreicht oder wenn beim gemeinsamen Tun ein Gefühl von Flow eintritt und sich bald wieder auflöst, wird “Normal” und zerstört alles Spannende und die Beziehung, die keine Bezug mehr nehmen kann.

Vertrauen geht nur unabhängig von Gewissheit.
Untreue ist das Mal, insbesondere für Frauen, dass sie sich nicht sorgen müssen, schon wieder etwas für andere Menschen zu tun. Es ist eine Erfahrung von Freiheit – und dann – auf dem Fuße folgend – eben auch von Zerstörung, unwiederbringlicher Zerstörung von Ur-Vertrauen …
… was nicht heißen soll, dass Vertrauen nicht wieder aufgebaut werden kann.
Das aber muss man sich dann redlich verdienen; und dieses neue Vertrauen ist nicht mehr das unschuldige, naive Geschenk des Anfangs, es ist ein bewusstes und gewolltes Schenken, eine Entscheidung.
Es ist ja durchaus oft so, dass der/die Seitenspringer /in den/die Partner/in verlassen wollte, sondern ganz gezielt die Person, die man selbst im Laufe der Zeit geworden ist.
So gesehen ist Untreue zum Teil ein Akt der Selbstfürsorge, wie er eben auch Betrug an der Verabredung mit dem Partner ist.
Es geht ja in einer Langzeitbeziehung beständig darum, was ich im Miteinander für mich getan habe und was ich ich dir damit angetan habe; wie es mit der Balance von “Ich”, “Du” und “Wir” aussieht?
Es ist immer ein Balanceakt von mehr oder weniger und immer eine doppelte Geschichte.

Ein wichtiger Punkt, ich hatte es oben bereits erwähnt, ist unsere Sprache, die wir im Umgang miteinander pflegen.
Denn wir denken in Bildern und Text und der ruft wiederum Bilder und Gefühle und Phantasien hervor, die dann von uns und anderen als realitätsähnlich behandelt werden.
Die Art, wie wir etwas formulieren, ist also die Art, wie die Information in unserem Denken und Fühlen abgespeichert wird.
An diesem, unserem ganz persönlichen Abbild von der Welt orientieren wir uns im Alltag.
Was dort im inneren Bild eingetragen wird, existiert in unserem Bewusstsein – oder nicht.
So ruft z.B. der Satz: “ich habe mich sexy gefühlt” andere Assoziationen und Gefühlszustände hervor, als “ich habe mich lebendig gefühlt”.
Und es macht einen Unterschied der einen erheblichen Unterschied macht, ob wir z.B. in “Es”, “Ich”, “Wir” oder gar in “man” oder “die anderen” reden, ob wir damit Abhängigkeit und Opferrolle oder Eigenverantwortung und Täter-Macht, die Kraft des Handelns – so oder so -, organisieren.

Sexualität ist wie eine Linse, um Gesellschaften und Kulturen zu verstehen: ihre Werte, ihre Einstellungen gegenüber Frauen und Kindern, gegenüber Vergnügen und Fleisch.
Dabei ist es weniger interessant, wie oft Menschen Sex haben oder zumindest behaupten, Sex zu haben oder wie viele Orgasmen angegeben werden, sondern von Interesse ist, was Sexualität heute repräsentiert und was Erotik bedeutet.

Menschen wollen sich in Beziehungen lebendig spüren, wollen Freiheit und Neugier befriedigen.
Was sich wie Gefängnis anfühlt ist das Gegenteil davon.

Oft kommen Menschen in meine Praxis die 10, 20 oder 30 Jahr treu und monogam waren und plötzlich überschreiten sie eine Grenze, von der sie selbst niemals gedacht hätten, dass sie sie überschreiten.

Was bringt Menschen dazu, das zu riskieren, was sie sich über viele Jahre aufgebaut haben?
Oft ist es ein Schrei nach Leben: “Ich habe mich immer um andere gekümmert, und nun bin ich einsam.
Ich will einmal im Leben etwas anderes erleben, und ich weiß gar nicht wie sich das anfühlt.”
Dieses Bestreben, diese Selbsterkenntnis, solche Untreue muss ja nicht das Ende einer Beziehung sein.
Meist sind diese inszenierten Krisen der Anfang von intensiven Gesprächen – die es allzu oft lange nicht mehr gab.
Eine tiefe Kriese, die vielleicht über lange Zeit kompensiert, verleugnet oder mit Aufgaben zugedeckt war, wird nun deutlich. Eine Krise ist immer auch eine Chance und das Paar muss schauen, ob sie diese Kriese gemeinsam überstehen kann, ob es etwas damit anfangen kann, was die Krise lehrt.

Monogamie ist ein soziales Konstrukt.
Es wurde in der Geschichte meist Frauen auferlegt, aus wirtschaftlichen oder patriarchalen Gründen. Es hatte nie mit Liebe zu tun, und heute hat alles mit Liebe zu tun.
Entsprechend verhandeln Menschen dauernd über Monogamie, über Einzigartigkeit, über Individualität.
Das ist jedoch nur der eine Pol, der da betont wird. Die andere Seite ist der Wunsch nach Zugehörigkeit, nach Wertschätzung, Wärme, Sicherheit, Verbundenheit, Treue, Verlässlichkeit, Berechenbarkeit in einer Welt, die immer unüberschauberer, medialer (vermittelter statt unmittelbar begreiflich) und globaler geworden ist.
Aber selbst wenn man über Masturbation spricht geht es um Monogamie.
Für die meisten ist dies seit der Pubertät ein Teil der eigenen Sexualität. Die Idee, dass jemand kommt und sagt: “Jetzt, da wir zusammen sind, darfst du das nicht mehr machen”, ist unvorstellbar. Auch in einer Beziehung braucht es eigenes! … nicht nur in Bereich der Sexualität.

Aber wenn jemand kritisiert: “anderen gegenüber bist du viel aufmerksamer, als mir gegenüber”, dann steckt dahinter ein Wunsch. Hinter jeder Kritik steckt ein Wunsch!
Wenn der bewusst wäre und ausgedrückt werden würde, wäre das Leben oft leichter.
“ich hätte gerne mehr Aufmerksamkeit von dir. Wenn du mit den Kindern spielst, bist du witzig, verspielt, liebevoll. Wenn du dich um unsere Gäste kümmerst, bist du aufmerksam, fokussiert, hängst nicht gleichzeitig am Telefon. Du gibst dein Bestes, und dann bringst du die Reste mit nach Hause.”
Viele Paare leben von den Resten.
Das Beste geht an die Kinder, an Freunde, an Kunden und Kollegen.
Fast selbstverständlich gilt die Vorstellung, dass eine Beziehung überlebt wie ein Kaktus.
Also: wenn sie 10 % der Kreativität und Einfallsreichtum, die sie in ihre Affäre stecken, ihre Ehe widmen würden, ginge es ihre Ehe deutlich besser.

Wenn eine Affäre entdeckt wird oder sie danach gefragt werden, seien sie ehrlich.
Denn an der Stelle wiegen Lügen schwer; wirken wie doppelter Betrug.
Wenn eine Affäre herauskommt, verursacht sie bei dem anderen manchmal einen enormen Schmerz und berührt ihn in seinem Innersten … wegen der Erwartungen: “Weil ich dachte, du könntest so etwas niemals tun. Weil mein Vater es mein ganzes Leben lang getan hat. Weil ich ohnehin schon dachte, dass ich nicht attraktiv bin und du es jetzt bestätigt hast.”
Solche Enttäuschung – das Aufdecken und Loswerden einer Täuschung / Illusion – wirkt oft verheerend. Das muss man verstehen und aushalten – beide!

Erst wenn der Konflikt / das Thema verstanden ist, kann es zu einer Lösung kommen.
Lassen Sie mich das kurz ein einem Beispiel erklären: wenn ein Gast ins Haus kommt und etwas trinken möchte, kann man losziehen und etwas holen. Ohne dass aber klar ist, ob der Gast Durst hat und ein Wasser möchte, ob er unterzuckert ist und ein süßes Getränk braucht oder Geselligkeit sucht und dabei Kaffee, Tee oder etwas alkoholisches bevorzugt, all das beeinflusst, ob eine passende und gute Lösung gefunden wird.

Nach einer Weile, wenn der erste Schock überwunden ist und man wieder nüchtern denken kann, kann man auf der Basis der tatsächlichen Realität schauen, an welchem Punkt man steht.
Für den Betrogenen ist es auch ein Wertverlust.
Daher taucht immer wieder die Frage auf, ob man das wiedergutmachen kann.
Manchmal hat der Partner eine Idee, was für ihn angemessen wäre.
Manchmal kann und will man diesen Preis zahlen, oft bleibt es etwas, das in der Phantasie funktioniert. In der Praxis des Erlebens ist es jedoch oft anders.
Vermutlich ist der brauchbare Weg, den Verlust zu betrauern und zu sehen, was man mit den vorhandenen und verbliebenen Ressourcen anfangen kann.
Es ist ja immer nur die Frage, was wir aus den Gegebenheiten machen. Denn, wie schon gesagt, werden die Ereignisse erst durch unsere Bewertung zu dem, was sie dann an Wirkung auf uns entfalten.

Ja, Ehrlichkeit kann grausam sein.
Doch nicht immer steht die Reaktion des Betrogenen im Verhältnis zur Schwere der Grenzüberschreitung. Manche reagieren auf einen One-Night-Stand, als handele es sich um eine 10 Jahre währende Affäre. Andere reagieren auf eine mehrjährige Affäre mit sehr viel Fassung.
Es ist immer eine kompliziert Frage, ob man es sagen soll oder nicht.
Sein Gewissen zu erleichtern, ist keine gute Motivation.
Sie bürdet dem Partner möglicherweise etwas auf, das nur marginal etwas mit ihr/ihm zu tun hat.
Es ist also genau zu prüfen, was Verantwortungsübernahme für das eigene Handeln bedeutet.
In einer Beziehung muss man nicht immer alles teilen . Für manche Dinge muss man ganz allein in die Hölle.
Ist die Aktion jedoch mit einem Beziehungsthema verknüpft, kann das Problem nur gemeinsam gelöst werden. Auch die Verschiebung auf einen anderen Partner wird hier in der Regel nur einen zeitlichen Aufschub bedeuten.
In jedem Fall sollte klar werden, dass man sich jetzt und folgend um seine Beziehung kümmern muss, um sie lebendig und glücklich zu gestalten.
Ohne Sähen keine Ernte, ohne Investment, kein Gewinn!
Erfolg ist dabei nicht vorhersehbar und schon gar nicht garantiert.

Vielleicht kann man eines Tage, während man ruhig zusammensitzt, fragen:
“Gibt es Dinge, die du mir nie erzählt hast?”
“Wollen wir diese wirklich wissen, oder belassen wir es dabei, dass wir es gut miteinander haben?”

In der honey-moon-phase kann man sich kaum vorstellen, dass diese Themen einmal wichtig werden. Aber das Leben ist lang, die Interessen entwickeln sich und die Einzelnen legen innerhalb einer Beziehung ein unterschiedliches Tempo vor. Das kann zu Ungeduld und Hoffnungslosigkeit führen.
Daher sind regelmäßige Themenabende ohne Störung sehr hilfreich – ohne oder mit therapeutischer Unterstützung.
So lernen Paare über Herpes zu sprechen, über SaferSex, über Wünsche und Befürchtungen, über Kinder und Erziehungs- oder Lebensvorstellungen.
Wenn sie lernen in guter, respektvoller, ruhiger und verständnisvoller Weise miteinander zu sprechen und einander zuzuhören, sind sie gut vorbereitet, Krisensituationen gemeinsam aufzufangen.
Die werden kommen … und gehen.
Jede bewältigte Gefahr bringt Selbstvertrauen und Vertrauen in das “Wir”.

Zudem lässt sich dann auch mit Freunden darüber reden:
“Wenn ich deinen Partner mit einem anderen sehen würde, würdest du wollen, dass ich es dir sage?
Welche Art von Freund oder Freundin soll ich sein?”
Denn Untreue ist systemisch, sie ist gesellschaftlich, sie dreht sich nicht nur um zwei Menschen.
Das ist eine soziale Frage,


Quelle und vor allem Anregung: Interview von Johanna Dürrholz und Felix Hooß mit Esther Perel, gleichnamigre Titel in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 26. 7. 2020
sowie eigene Eindrücke aus Paartherapien

Wechselwirkungen zwischen körperlichen und psychischen Erkrankungen

Bei körperlichen Erkrankungen können Patienten psychische Komorbiditäten (Miterkrankung) entwickeln, und umgekehrt. Das ist durch verschiedenen Studien mittlerweile sehr gut belegt.
Bei chronischen somatischen Erkrankungen liegt die Wahrscheinlichkeit binnen eines Jahres auch psychische Symptome zu entwickeln bei 9 %.
Sehr häufig ( 31-45 %) von psychischen Komplikationen (insbesondere depressiven Reaktionen) betroffen sind Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung, wobei 15-20 % die Kriterien einer Depression erfüllen.
Gleichzeitig beeinflusst die Depression das Risiko nach einem Herzinfarkt zu versterben.
Depressive Begleitsymptome finden sich auch in 16 % der Fälle bei chronischen Darmerkrankungen,
in ca. 12 % bei Tumorerkrankungen, 13 % bei Atemwegserkrankungen, 10 % bei rheumatologischen Erkrankungen. Eine weitere Gruppe, die sehr häufig unter psychischen Symptomen leidet, sind Patienten mit Erkrankungen der endokrinen Drüsen; z.B. bei Morbus Cushing in 50-80 %. Die hormonelle Dysregulation führt dabei zu Symptomen wie Schlaf- und Gedächtnisstörungen, Ängsten, Depression, Wesensveränderung oder auch zu psychotischen Symptomen.

Die Lebensqualität kann bei derartigen Erkrankungen, auch bei angemessener Behandlung, noch über längere Zeit beeinträchtigt sein, insbesondere wenn hormonelle Faktoren einer Rolle spielen.
Umgekehrt konnte gezeigt werden dass Patienten mit einer Depression ein um das Risiko einer körperlichen Einschränkung 1,8-fach erhöht ist, das Risiko für soziale Einschränkungen gar um das 2,3-Fache.
Psychische Symptome schränken nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen und deren Familien ein, sondern können auch für Probleme bei der Krankheitsverarbeitung und -akzeptanz sorgen. In der Folge hängen damit dann wieder Komplikationen bei den körperlichen Krankheitsverläufen zusammen.
z.B. beeinflussen sich Diabetes mellitus Typ 2 und Depression in beide Richtungen: häufig übergewichtige zuckerkranke Erwachsene dieses Typs haben ein doppelt so hohes Risiko, an einer Depression zu erkranken, während das Risiko, dass depressive Patienten an einen relativen Insulinmangel zu leiden beginnen, um 37 % erhöht ist. Zudem ist hier die Einstellung der Blutzuckerwerte oft erschwert, da diese doppelerkrankten Patienten oft unter Schlafstörungen leiden, oft schlechte Essgewohnheiten pflegen und sich zu wenig bewegen und sich dennoch zu erschöpft fühlen, um ihre Therapie einzuhalten.

All das hängt mit einer engen biologischen Verzahnung von Körper und Psyche zusammen, wobei z.B. entzündliche Prozesse im Körper eine Immunantwort im Gehirn erzeugen. Das führt einerseits zu unspezifischen psychischen Symptomen wie kognitiven Problemen, Fatigue und Stimmungsschwankungen. Allgemein spielt Stress dabei eine große Rolle, weil er nicht nur über das Hormonsystem, sondern auch über die Stimulation von Entzündungs-mediatoren (Botenstoffen) und über das Mikrobiom des Darmes das Wachstum bestimmter Keime fördert, was wiederum zur vermehrten Bildung von Neurotransmittern beiträgt, die die Stimmung beeinflussen.

Quelle: MMW Fortschr. Med. 2020; 162 (17): PD Dr. med. Heike Künzel, München, Zusammenhänge zwischen Depression und internistischen Erkrankungen, S. 44-47


17. Okt. Tag des Grabsteins, 15. Nov. 2020 Volkstrauertag

Fliegerdenkmal auf dem Fellingshäuser Friedhof

Gedenktage und Grabsteine haben in vielen Kulturen und Religionen der Welt eine besondere Bedeutung. Sie sind ein Teil der Trauerarbeit, eine Form des Umganges und der Integration von Verlusten. Rituale und Symbole sind an diesen Tagen und an besonderen Orten die sichtbaren Zeichen des Andenkens und der Dankbarkeit an die Verstorbenen, die ja noch weiter in unserer Erinnerung “leben”. Insbesondere das Grab ist der zentrale Ort der Erinnerung, sowie ein Ort, an dem Trauer erlebt und verarbeitet werden kann.

Seit 2018 gibt es den “Tag des Grabsteins“, an dem man sich bei den örtlichen Steinmetzen über Grabsteine, Grabgestaltungen, Preise und die Geschichte des Grabstein informieren kann.

Seit 1952 wird der Volkstrauertag begangen und an die Kriegstoten und Opfer der Gewaltherrschaft der Weltkriege aller Nationen erinnert.
Im Jahr 2020 ist vieles anders.
Das Corona-Virus – und die Angst davor, krank zu werden oder zu machen – hat das Land im Griff.
So wird es in diesem Jahr in den Ortsteilen keine Bürgerversammlungen im Gedenken geben, es werden keine Chöre singen, keine Reden gehalten. Lediglich die Bürgermeisterin und die Ortsvorsteher/innen werden an diesem Tag stellvertretend für die Mitbürger in stillem Gedenken die Friedhöfe der Gemeinde besuchen.

Das Paar im Gespräch – Regeln für Zwiegespräche

die Regeln im Zwiegespräch (ob mit Partner/in oder Arbeitskollege/kollegin vorab hier ganz knapp:

  1. keine Fragen.
  2. keine Ratschläge.
  3. Jeder redet nur über sich.
  4. Wer redet, darf immer ausreden und wird nicht unterbrochen.
  5. Schweigen ist erlaubt. Es besteht kein Zwang zur Offenbarung!
  • Zwiegespräche sollten verbindlich verabredet werden.

Nur dann kann man Widerstand erkennen; ebenso wie man an der Grenze der verabredeten Zeit sehen kann, welche Themen, um die eigene Angst zu regulieren, erst kurz vor Schluss auf den Tisch kommen und erst in der nächsten Woche weiter verfolgt werden können.

  • Zwiegespräche brauchen wenigstens einmal in der Woche anderthalb Stunden ungestörte Zeit.

Die Regelmäßigkeit ist das Geheimnis ihres Erfolges. So geht der rote Faden (des gemeinsamen Unbewussten eines Paares) nicht verloren.

(9/10 unseres Wissens wissen wir nicht; ist implizit, unbewusst. Nur 1/10 unserer Eindrücke werden uns bewusst, sind explizites Wissen.)

  • Jeder spricht über das, was ihn bewegt: wie er sich, den anderen, die Beziehung und sein Leben erlebt.

Jeder bleibt bei sich. Das Gespräch hat kein anderes Thema, es ist offen.

  • Reden und Zuhören sollten möglichst gleich verteilt sein.

Schweigen und Schweigenlassen, wenn es sich ergibt.
Auch dabei können sich klärende Eindrücke entwickeln, meist schweigt das Gehirn ja nicht und im Schweigen hat man Zeit, sich etwas durch den Kopf gehen zu lassen.

Ausgeschlossen sind:

  • Bohrende Fragen,
  • drängen,
  • Kolonialisierungsversuche
    (d.h. sich den anderen einverleiben, z.B. mit „Wir“-Formulierungen oder durch Vorschriften machen; ihn also letztlich als Gegenüber, Andersartig und Eigenständig auslöschen).

Zwiegespräche sind kein Zwang zur Offenbarung. Jeder entscheidet für sich, was und wie viel er sagen mag. Beide lernen durch Erfahrung, dass größtmögliche Offenheit am weitesten führt.

Sich wechselseitig einfühlbar zu machen ist das erste Ziel der wesentlichen Gespräche.
Nur so kann einer das Andere im Anderen wirklich miterleben.
Wenn uns das gelingt, beginnen wir zu begreifen, was eine Beziehung sein kann.

Wenn beide für dieses Setting (engl. Rahmen) sorgen, sorgt es seinerseits für alles.
Vor allem garantiert es die unbewusste Selbstregulation der Entwicklung zu zweit.

Quelle: Michael Lucas Möller: Die Wahrheit beginnt zu zweit. Das Paar im Gespräch. Rowohlt, 1990,2002

Bedingungen einer guten Partnerschaft

  1. Wir können lernen, von der wechselseitigen Unkenntnis auszugehen,
    statt von der gleichen Wellenlänge:
    „Ich bin nicht du und weiß dich nicht.“
  2. Wir können lernen, unser gemeinsames unbewusstes Zusammenspiel wahrzunehmen,
    statt uns als zwei unabhängige Individuen aufzufassen:
    Wir sind zwei Geschichten einer Beziehung und sehen es nicht.“
  3. Wir können lernen, regelmäßige wesentliche Gespräche* als Herz und Kreislauf einer lebendigen Beziehung zu begreifen,
    statt mit Worten unsere Beziehung nur noch zu verwalten:
    „Dass wir miteinander reden, macht uns zu Menschen.“

* wesentliche Gespräche meint: über sich selbst sprechen, über das was mich im Augenblick bewegt.
(Wer sich auf das Wesentliche konzentrieren will, muss die besten Bedingungen seiner bedeutenden Beziehungen – die zu sich selbst und die zu den mir nahestehenden Menschen – erkunden und entwickeln.)

4. Wir können lernen, in konkreten, erlebten Beispielen zu reden,
statt in abstrakten Begriffen zu sagen, was wir meinen:
     „In Bildern statt in Begriffen sprechen.

5. Wir können lernen, auch unsere Gefühle als unbewusste Handlungen mit geheimer Absicht zu verstehen,
statt zu meinen, sie überkämen uns wie Angst oder Depression von innen oder würden uns von außen zugefügt wie Kränkungen oder Schuldgefühl:
„Ich bin für meine Gefühle selbst verantwortlich.“

Quelle: Michael Lucas Möller: Die Wahrheit beginnt zu zweit. Das Paar im Gespräch. Rowohlt, 1990, 2002


John Gottman hat, aufgrund seiner Beobachtungen und Forschungen, neben der Beschreibung katastrophaler Kommunikation, auch Grundregeln für eine glückliche Beziehung herausgearbeitet.
Dabei betont er, dass Freundschaft das Herz und die Grundlage einer jeden langfristigen guten Beziehung ist. Darüber hinaus schlägt er für den Dialog für Paare folgendes vor:

  1. Bringen Sie Ihre Partner-Landkarte auf den neuesten Stand
  2. Pflegen Sie Zuneigung und Bewunderung füreinander
  3. Wenden Sie sich einander zu und nicht voneinander ab
  4. Lassen Sie sich von Ihrem Partner beeinflussen
  5. Lösen Sie Ihre lösbaren Probleme
  6. Überwinden Sie Pattsituationen
  7. Schaffen Sie einen gemeinsamen Sinn

Quelle: John Gottmann, Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe, 2002, TB, Ullstein-Verlag

Quintett der Finsternis – in Paarbeziehungen

Michael Lukas Moeller hat in seinen Forschungen fünf Themen gefunden, die sich zu Horrorszenarien in einer Beziehung entwickeln können. Es könnte sich lohnen, darüber nachzudenken.

  1. Die Bewusstlosigkeit in der Beziehung

Selten wissen und realisieren wir wirklich, dass wir uns unserer Beziehung zuwenden müssen, um sie aufrechtzuerhalten. Oft leben die Menschen miteinander (oder nebeneinander) in Beziehungen – bewusstlos wie die Kinder, aber die Beziehung leben wir nicht.
Wer sich nicht kennt, wer seine (Selbst-)Wahrnehmung nicht schult, der kann auch vom Gegenüber nur wenig mitbekommen.
Kleine Übung: Beschreiben Sie doch einmal für 2 Minuten, wessen Sie sich gerade jetzt bewusst sind.

  •  Die Ahnungslosigkeit in der Beziehung

Selten haben wir ein Vorbild, wie gute Beziehung aussehen könnte
und wie man Störmomente – beispielsweise ständige Gereiztheit, Krach, Langeweile und erotische Einöde – angehen und beheben kann.
In fast allen Lebensbereichen müssen wir Lernen, wie etwas geht.
Zentralen Fragen, wie Beziehung oder mit Kindern leben, Glücklichsein z.B. werden in der Bildungspolitik vernachlässigt. Dennoch macht es Sinn, sich über diese Fragen Gedanken zu machen und evtl. Lehrer zu suchen.

  • Die Beziehungslosigkeit in der Beziehung

“Zusammen ist man weniger allein.” Stimmt das wirklich?
Paare, die zu wenig zusammen sind oder zu wenig Austausch pflegen, zu wenig miteinander sprechen, zu wenig Nähe zueinander entwickeln, erleben schnell eine Beziehungslosigkeit in der Beziehung.

  • Die Sprachlosigkeit in der Beziehung

Paare sprechen im Allgemeinen zu wenig Wesentliches miteinander; sie tauschen ihr Erleben zu wenig aus.
Wie oft sprechen Sie in Ihrer Beziehung Wesentliches? – nicht alltägliches.
Also über das was Sie wirklich zutiefst bewegt, was Sie fühlen, sich wünschen, befürchten, wovon Sie träumen, über das, was Sie gerne tun möchten oder mit Ihrem Partner machen möchten?

(Ich erinnere, dass Möller in seinem Buch ein Untersuchungsergebnis benennt, das aufzeigte, dass deutsche Paare im Durchschnitt nur 2 Minuten am Tag über Wesentliches miteinander sprechen!)
Würden die Paare so wenig Zeit für die Pflege ihrer Blumen im Haus verwenden, man kann sich vorstellen, wie welk die Pflanzen nach kurzer Zeit aussehen – aber genau so sieht es in vielen Beziehungen aus.
Es liegt also nicht an der Dauer einer Paarbeziehung, dass das Feuer erlischt,
sondern daran, dass kein Holz nachgelegt wird.

  • Die Lustlosigkeit in der Beziehung

Wenn in dieser Minutenbeziehung der Zeitmangelmenschen nichts besprochen werden kann, wird die beste Erotik unter der Last von Unerledigtem, Gereiztem und Resigniertem erstickt.

Das was Lust macht – im ganz allgemeinen Sinne –, muss in der Paarbeziehung nicht immer Erotik oder Sex sein; es gibt viele andere Themen, die miteinander befriedigend erlebt können.

Dennoch spielt die körperliche Nähe eine große Rolle, je nachdem wie wir unsere allerersten, vielleicht aber auch spätere Beziehungen erlebt haben. Denn Körperlichkeit ist eine Grunderfahrung, die ein grundlegendes Gefühl von Sicherheit oder aber Gefahr signalisiert.
Üblicherweise werden bei der körperlichen Verbindung Bindungshormone ausgeschüttet, die das Paarerleben stärken. Andererseits sollte es völlig OK sein, wenn jemand solches Nähebedürfnis nicht spürt oder ablehnt. Denn dies ist ein Thema bei dem nichts Orgas-muß, sondern kann, wenn es passt.

Passt ein Paar mit seinen Bedürfnissen nicht gut zusammen, sollte es den Gründen nachgehen und dann verstehend nach einer Lösung (was manchmal Loslösung bedeutet) suchen.
Eine Entscheidung, darüber sollte man sich klar sein, hat immer etwas mit Scheidung zu tun – mit dem bewussten Treffen einer Wahl. Die schließt etwas ein, wie sie auf der anderen Seite etwas ausschließt.
Daher beruhen Liebesbeziehungen auf Freiwilligkeit!

Quelle: Michael Lukas Moeller: Gelegenheit macht Liebe, Glücksbedingungen in der Partnerschaft, 2001


Nachtrag zur Wahrnehmungsübung – ruhte Ihre Aufmerksamkeit dabei z.B.
auf äußeren oder inneren Eindrücken?
bei Gedanken, Gefühlen oder Interpretationen?
waren das, was Sie für bennenswürdig erachteten, detailliert oder von grober Übersicht?
gleichschwebend bei allem Möglichen und nicht wertend oder vorstrukturiert?
Konnten Sie sich leicht auf die Übung einlassen
oder fiel es ihnen schwer, zu “verstehen”, was mit der Aufgabe gemeint war?

All das ist ein Maß dafür, wie üblich Achtsamkeit bereits in Ihrem Alltag ist.




Die 9 bedeutendsten Bedingungen für ein besseres Paarleben

Michael Lukas Moeller, einer meiner Profs im Studium in Gießen, befasste sich, neben Selbsthilfegruppen, lange Zeit mit dem Thema Paartherapie. Unter anderem fragte er Paare: Was sind Eure wichtigsten Liebesbedingungen? und kristallisierte aus den Antworten vieler Menschen folgende Themen als wesentlich heraus:

Basistrias, also 3 grundsätzliche Aspekte

  1.  Initiativ werden
    nicht hoffen, dass etwas passiert oder dass die/der Partner/in die Initiative ergreift, sondern selbst dafür sorgen, dass etwas passiert. Sprechen Sie an, was Sie bewegt, welche Bedürfnisse Sie haben.
    John Gottman, ein anderer Paartherapeut, nennt das: “Wenden Sie sich einander zu und nicht voneinander ab.”
  2.  Zeit zu zweit reservieren
    insbesondere in der Zeit mit kleinen Kindern, aber auch wenn die eigenen Eltern versorgt werden müssen: nehmen Sie sich Zeit für die Zweierbeziehung; sie ist die Grundlage für die Familiengeschichte.
    John Gottman nennt diesen Aspekt: “Pflegen Sie Zuneigung und Bewunderung füreinander.”
  3.  Ungestörtheit garantieren
    Sorgen Sie für einen Babysitter, schalten Sie das Handy aus, schließen sie die Tür ab, organisieren Sie sich einen Platz der Ungestörtheit, damit sich entwickeln kann, was gerade angesagt ist; sei es ein Gespräch, ein gemeinsames Schweigen, eine gemeinsame Arbeit oder gemeinsames Essen oder ein eine Zeit der körperlichen Nähe … die sich entwickelt oder die Sie vorab verabreden und planen.

 Kommunikationstrias, insbesondere bei Paargesprächen

  •  Wesentliches sprechen
    also in der Zeit, die Sie für sich reservieren, über das Reden, was Sie gerade berührt und bewegt,
    was Ihnen aktuell oder grundsätzlich wichtig ist.
    Der Text, wer die Kinder wann abholt, wer einkauft usw. sollte einen anderen Platz bekommen.
    Bei John Gottman heißt es: “Bringen Sie Ihre Partner-Landkarte auf den neuesten Stand”.
  • Anerkennen der doppelten Wirklichkeit in unserer einen Beziehung
    Immer wieder ist bei Paaren zu beobachten, dass vergessen wird, dass zwei Menschen 2 Köpfe haben, auch wenn sie 1 Paar sind.
    Einen Menschen gut zu kennen, bedeutet nicht, dass man weiß, was sie/er denkt oder will.
    Um herauszufinden, wie es im anderen auf der anderen Seite aussieht oder was das Gegenüber aus seiner Perspektive anderes wahrnimmt, gilt es einerseits zu fragen, andererseits zuzuhören.
  •  Wirkliche Gleichberechtigung
    Gleichberechtigung und Augenhöhe setzen zunächst einmal ein Getrennsein und Eigenständigkeit voraus. Denn ohne dass kann man sich nicht aufeinander beziehen, in Beziehung sein.
    Gleichberechtigung, wie auch Gleichwertigkeit, bezieht sich auf Themen wie “Geben und Nehmen”, auf “Nähe und Distanz”, auf “Ich – Du – Wir”, die je eigenen Raum und Zeit brauchen. Es können auch weitere Aspekte hinzukommen, an die ich im Augenblick nicht denke.
    Manche Paar führen genau Buch und bilanzieren akribisch, andere schmeißen alles in einen Topf und halten die unterschiedlichsten Beiträge für ausgleichsfähig.

Entwicklungstrias

  •  Immer wieder Balance finden im Urkonflikt:  Selbstzuwendung – Partnerzuwendung
    Menschen entwickeln sich unterschiedlich. Das betrifft sowohl die Richtung als auch die Geschwindigkeit.
    In einer Beziehung braucht es Eigenes und Gemeinsames, sonst stirbt sie vor sich hin.
    Immer wieder braucht es da Abstimmungen oder vertrauensbildende Ansagen, damit die/der andere informiert ist, sich mitgenommen fühlt – auch wenn die Partnerin oder der Partner gerade allein unterwegs ist.
  •  Anerkennen des unbewussten Zusammenspiels: wir sind ein System, wie kommunizierende Röhren
    Unser Tun hat Bedeutung. Wir können nicht umhin, zu bewerten und einzuordnen, um uns zu orientieren, um zu wissen wo wir stehen und wie wir zu etwas stehen. Dabei spielen sowohl bewusstes Tun und Wollen, wie auch Aspekte, die wir nicht wissen, die als früheren Erfahrungen mit in unsere Entscheidungen einfließen, ein Rolle.
    Hilfreich im Kontakt miteinander ist es, dies erst einmal anzuerkennen. Denn dann lassen sich Missverständnisse, unterschiedliche Bedürfnisse, Werthaltungen oder Ziele und Übertragungen besser erkennen. Vor allem lässt sich besser sehen, wie man als Paar – auch unbewusst – zusammenspielt und in seinen Wechselwirkungen unter anderem bekannte Szenen aus seinem Leben re-inszeniert (wiederholt) … um sie zu einem besseren Ende zu führen oder um “Normalität” herzustellen, die weniger Angst macht, als Neues, Unbekanntes.
  •  Konfliktfähigkeit: Konflikte erstellen* und lösen*
    * Konflikt erstellen meint, die Pole des Spannungsfeldes zu beschreiben und die zugrunde liegenden Wünsche / Bedürfnisse (durch die verschleiernden Schichten hindurch) herausarbeiten.
    * Konflikt lösen meint, ein „Win-Win-Ergebnis“ finden.

Quelle: Michael Lukas Moeller: Gelegenheit macht Liebe, Glücksbedingungen in der Partnerschaft, 2001